Rumänien:Die Letzten werden die Letzten sein

Lesezeit: 4 min

Das Armenhaus Europas macht kaum Fortschritte auf dem Weg nach Brüssel und erhält für seine Politik die schlechtesten Zensuren

Kathrin Lauer

(SZ vom 23.11.2000) - Monica Maurer hat keine Zeit zu verlieren. Erleichtert stellt sie fest: "Lately beginnen meine rumänischen Geschäftspartner, Amerikanern ähnlich zu werden. Ich kann jetzt mit ihnen in meiner Sprache sprechen.

Rumänische Flagge (Foto: Archiv)

Normalerweise lieben es die Rumänen, ewig um den heißen Brei herumzureden. Das ist furchtbar time consuming. " Die 26-Jährige, die mit Amerikanismen nur so um sich wirft, sitzt in einem gläsernen Büroturm an der einstigen Bukarester Prachtstraße Calea Victoriei.

Die Enkelin von Ion Gheorghe Maurer, dem kommunistischen rumänischen Regierungschef von 1961 bis 1974, ist Managerin des ersten Investitionsprojekts nach dem sogenannten Inkubator-Prinzip in ihrem Heimatland.

Mit Unterstützung internationaler Partnerunternehmen will Monica Maurers Firma "the advantage software factory" als Aktionär und Berater Rumänen helfen, kleine bis mittelständische Unternehmen zu gründen.

Nach ihrem High-School-Abschluss in Bryn Mawr, Pennsylvania, hat die schmale junge Frau in den USA Ingenieurswissenschaften mit Schwerpunkt Computergrafik für medizinische Anwendungen studiert und schnell noch in Boston und New York zwei Software-Firmen gegründet, bevor sie sich entschloss, den rumänischen Markt über das Inkubatorenprojekt "mit einem neuen Konzept zu schockieren".

Was treibt ein Energiebündel wie sie ins Armenhaus auf dem Balkan, aus dem massenhaft gut ausgebildete junge Leute, vor allem Softwarespezialisten, in den Westen fliehen? Im Imperium von Bill Gates stellen die Rumänen schon 20 Prozent des Personals.

Das exkommunistische Rumänien sucht den Anschluss an die westeuropäischen Institutionen, doch die Fortschritte sind gering. Die Wirtschaft liegt nach wie vor darnieder. Gewendete Kommunisten und angebliche Bürgerlich-Liberale in acht Nach-Wende-Regierungen konnten oder wollten keine durchgreifenden Reformen einleiten.

Am kommenden Wahlsonntag haben die Exkommunisten um dem früheren Präsidenten Ion Iliescu (1990 bis 1996) die besten Chancen, wieder die Führung zu übernehmen. Zweitstärkste Kraft im Lande sind die extremen Nationalisten des Populisten Corneliu Vadim Tudor.

Doch politische Fragen interessieren die ehrgeizige junge Dame nicht. Sie will trotz aller Hindernisse mit neu entstehenden rumänischen Software-Unternehmern ins Geschäft kommen. "Hier müssen alle erst einmal erzogen werden. Sie verstehen eine Menge von Informatik, aber nichts von Business-Plänen", seufzt sie.

Von den 17 Bewerbungen für ihr Inkubatoren-Projekt, aus denen sie Anfang nächsten Jahres sechs aussuchen will, sind die meisten nicht sehr überzeugend. Vorerst will sie pro Bewerber nur 250.000 Dollar riskieren. Warum also ist Monica Maurer im trüben Bukarest und nicht in New York?

"Rumänien ist ein billiger Ort", antwortet sie. "Die running costs sind zehnmal niedriger. " Und wie steht es mit Heimweh? Ein kurzer Blick deutet es an. Immerhin ist sie zehn Jahre lang von ihrem berühmten Großvater in Bukarest erzogen worden, weil ihre Eltern sich getrennt hatten und ausgewandert waren - der Vater nach Deutschland, die Mutter in die USA.

Mit Ion Gheorghe Maurer, der im Februar im Alter von 98 Jahren gestorben ist, verbindet sie Erinnerungen an lange, spielerische Debatten: "Von ihm habe ich argumentieren gelernt. " Seine widersprüchliche politische Vergangenheit war dabei zwischen den beiden eher kein Thema.

Maurer, Sohn eines Siebenbürger Sachsen und einer Französin, galt als Gentleman unter den rumänischen Kommunisten. In den sechziger Jahren hatte er den Aufstieg des Diktators Nicolae Ceausescu gefördert, der damals für viele noch ungefährlich wirkte.

Maurer wurde von Ceausescu kaltgestellt, als er sich Anfang der siebziger Jahre gegen dessen neuen, extrem restriktiven und nationalistischen Kurs stellte. "Er war ein Idealist", sagt seine Enkelin heute, "er hat immer gesagt, die nächste Stufe nach dem Kapitalismus ist der Kommunismus. "

Elf Jahre nach Ceausescus Entmachtung und Hinrichtung scheint Rumänien immer noch orientierungslos zwischen diesen "Stufen" zu hängen. Mit diesem gefährlichen Schwebezustand kämpft auch Aurel Ciobanu Dordea, Chef-Unterhändler Rumäniens für die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union.

Brüssel hat das Kandidatenland gerade erneut wegen mangelndem Reformeifer gerügt. Im letzten Jahresbericht der EU über die Fortschritte aller Beitrittskandidaten steht Rumänien an letzter Stelle. Doch der 33-jährige Dordea ist Kummer gewohnt.

Wie soll er zum Beispiel mit der EU verhandeln, wenn seine eigene Regierung ihn nicht unterstützt? Wenn er jedes Ministerium wochenlang flehentlich um Basisinformationen bitten muss, damit er in Brüssel wenigstens kompetent vortragen kann, wie es denn nun genau bestellt ist um das rumänische Statistikwesen oder um die Ausstattung der Forschung?

Und dies sind nur zwei von neun Kapiteln, mit denen die EU in diesem Jahr die Verhandlungen eröffnet hat. In seinem Büro in einem eleganten Gründerzeit-Bau an der Aleea Alexandru nimmt Dordea einen tiefen Zug von seiner Zigarette.

Wütend wirkt er nicht, eher abgeklärt heiter aus lauter Verzweiflung. Die rumänischen Behörden wollten oft nicht mit Informationen herausrücken, um eigene Fehlleistungen zu vertuschen, sagt Dordea.

Zudem seien sie parteipolitisch dominiert und waren folglich anfällig für die in den vergangenen vier Jahren andauernden Koalitionsstreitigkeiten zwischen Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten.

"Wenn ein Minister den anderen aus politischen Gründen hasste, mussten sich auch die Ministerien gegenseitig hassen", sagt er immer noch lächelnd. Dramatisch sei, "dass viele Behördenchefs nicht wissen, was in ihrem eigenen Laden passiert". Ob Dordea nach der Wahl im Amt bleibt, ist ungewiss. Es hängt davon ab, ob die Liberalen, denen er nahesteht, mit Iliescu eine Koalition schließen, wie man in Bukarest munkelt.

Die politisierte Verwaltung, das immer noch nicht gelöste Problem mit Straßen- und Heimkindern und die versäumten Privatisierungen gehören zu den wesentlichen Minuspunkten in der Bewertung der EU. Die Betreuung der Heimkinder ist umorganisiert und finanziell vorerst abgesichert worden, doch strukturell ist das Problem nicht gelöst, sagt Dordea.

Die Rumäninnen würden immer noch nicht dazu motiviert, wegen Armut darauf zu verzichten, Kinder in die Welt zu setzen. In Rumänien gehört das Kindergeld neben Rente und Sozialhilfe in ganzen Landstrichen zu den einzigen Einkommensquellen.

Immer noch verschlingen 63 defizitäre Schwerindustriegiganten ein Drittel des rumänischen Staatsbudgets. Im einst blühenden Agrarland müssen Grundnahrungsmittel aus dem traditionell ungeliebten Nachbarland Ungarn importiert werden, weil die Bauern keine Maschinen und Kredite haben, um alle Flächen zu bebauen.

Massenhaft wurden vor zwei Jahren staatliche Tierfarmen geschlossen. Von diesem Jahr an will die Europäische Union Rumäniens Landwirtschaft mit jährlich 150 Millionen Euro fördern. Doch Rumänien hätte die Hilfe für das Jahr 2000 fast verloren, weil es die Regierung wegen Streitereien versäumt hatte, termingerecht die von Brüssel verlangten Verwaltungsstrukturen zu schaffen und den landwirtschaftlichen Entwicklungsplan vorzulegen.

All das ist nicht geeignet, das ohnehin angeschlagene internationale Ansehen Rumäniens zu verbessern. Auch die Berufsoptimistin Monica Maurer stellt ihre Bukarester Firma nach außen lieber als "multinational" vor.

Sie erwähnt vielleicht im dritten Satz, dass ihre Software-Fabrik auf der Landkarte nördlich von Bulgarien und östlich von Ungarn liegt: Denn "Rumänien kennt man nicht".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: