Rühe:"Unsere Soldaten hätte es genauso treffen können"

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Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe fordert, den Bürgern ehrlich zu sagen, dass die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt.

Susanne Höll

Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe, 65, befürwortete in den 90er Jahren Auslandseinsätze der Bundeswehr. 2005 schied er aus dem Bundestag aus. Rühe wirft der Bundesregierung vor, den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan zu verharmlosen und fordert deutsche Solidarität bei Kampfeinsätzen am Hindukusch.

Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe fordert deutsche Solidarität bei Kampfeinsätzen am Hindukusch. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Rühe, was wäre in Deutschland los, wenn uns die Nachricht über den Tod zehn deutscher Soldaten in Afghanistan erreichte?

Volker Rühe: Das würde einen noch größeren Schock bewirken, als die Nachricht über die zehn toten Fallschirmjäger in Frankreich ausgelöst hat. Wir müssen lernen, dass es unsere Soldaten genauso hätte treffen können. Deshalb brauchen wir nicht nur gemeinsame Trauer, sondern auch Solidarität und eine deutsch-französische Diskussion, wie man in Afghanistan besser zusammenarbeiten und sich besser schützen kann.

SZ: Sie sagen, Deutschland wäre auf eine solche Nachricht nicht vorbereitet. Wessen Schuld ist das?

Rühe: Die Bundesregierung versagt bei der Kommunikation. In Deutschland herrscht der Eindruck, wir leisten dort bewaffnete Entwicklungshilfe. Tatsächlich sind wir im Krieg gegen aufständische Taliban, und unsere Soldaten sind Kämpfer in diesem Krieg. Der Tod der zehn französischen Soldaten sollte Anlass sein, dies endlich auch in Deutschland offen zu sagen.

SZ: Für solche Botschaften sind die Kanzlerin, der Verteidigungs- und der Außenminister zuständig. Haben diese drei versagt?

Rühe: Wie gesagt, wir sind nicht ausreichend auf solche Nachrichten vorbereitet. Deshalb ist es höchste Zeit, mit äußerster Klarheit die Wahrheit zu sagen, zumal wir befürchten müssen, dass die Lage in Afghanistan militärisch immer schwieriger wird. Die Meinung, wir sind im Norden Afghanistans und um die Lage im Rest des Landes kümmern sich andere, ist unhaltbar.

SZ: Was heißt das konkret?

Rühe: Die neuen deutschen Kräfte der schnellen Einsatztruppe, der Quick Reaction Force, hätten, wenn sie denn angefordert worden wären, den Franzosen helfen müssen. Kann sich irgend jemand vorstellen, dass deutsche Soldaten ihren französischen Kollegen nicht beistünden, wenn es denn möglich wäre? Es ist Solidarität gefragt, auch im militärischen Kampf, und das muss man den Bürgern sagen.

SZ: Also auch Einsätze von Soldaten der Bundeswehr im umkämpften Süden Afghanistans?

Rühe: Selbstverständlich. Das sieht das Mandat für die schnelle Einsatztruppe auch vor. Solidarität gilt auch darüber hinaus. Wenn verbündete Soldaten in Gefahr geraten, ganz egal wo, ist die Bundeswehr aus meiner Sicht zur Hilfe verpflichtet. Das ist schließlich ein Nato-Einsatz. Kanadische und britische Truppen hatten schon viele Tote zu beklagen, der Tod der zehn Franzosen muss uns endgültig vor Augen führen, dass wir uns nicht auf den Norden beschränken dürfen.

SZ: Die Nachrichten über Kämpfe mit den Taliban häufen sich, die Franzosen kamen in der Nähe Kabuls ums Leben, einer bislang vergleichsweise ruhigen Region. Kann die Nato den Einsatz noch gewinnen?

Rühe: Das kommt darauf an, was man unter gewinnen versteht. Man muss präzisieren, welche Ziele die Nato in welchem Zeitraum erreichen will. Es kann nicht angehen, dass darüber erst geredet wird, wenn es Tote gibt. Der Kampf gegen die Taliban muss weitergehen, es steht für die ganze Welt viel auf dem Spiel. Aber wir müssen uns klare Ziele setzen und neu entscheiden, wenn wir sie nicht erreichen. Deutschland und Frankreich sollten in der Nato dafür eine gemeinsame Initiative vorlegen.

SZ: Hat es überhaupt schon einmal eine ehrliche Bilanz der Verbündeten über den Einsatz gegeben?

Rühe: Es gab Versuche bei Nato-Gipfeln. Aber nach meiner Meinung war das nicht erfolgreich. Und noch einmal: Man muss den Bürgern die Lage in Afghanistan und die Notwendigkeiten für Einsätze kühl und klar darstellen. Sonst erhält man keine politischen Mehrheiten.

SZ:Sehen Sie Auswirkungen des Kaukasus-Konflikts auf den Nato-Einsatz in Afghanistan?

Rühe: Die Lage ist für die Nato sicher nicht einfach. In Afghanistan ist sie militärisch gefordert, Georgien verlangt eine politische Antwort auch an die Adresse Russlands. Der Nato-Russland-Rat wurde gegründet, um auch in Krisenzeiten miteinander zu reden. Nun hat ihn die Nato auf Eis gelegt. Aber es gilt das Wort des Bundesaußenministers Steinmeier, dass dieses Gremium kein Schönwetter-Rat ist. Das Forum sollte sich so bald als möglich wieder treffen, auch um die Russen mit ihrem völlig unverhältnismäßigen Verhalten im Kaukasus zu konfrontieren.

© SZ vom 21.8.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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