Robert-Bosch-Stiftung:Am entscheidenden Punkt

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Geschafft: Ein Flüchtling aus Somalia erhält in Halle/Saale eine Azubi-Stelle als Bauarbeiter. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Eine Kommission präsentiert recht weitgehende Ideen für eine dauerhafte Integration der Flüchtlinge.

Von Stefan Braun, Berlin

Wenn Regierungen, Parteien oder Stiftungen Kommissionen einberufen, können sie Glück oder Pech haben. Glück haben sie, wenn bei der Präsentation ihrer Vorschläge das von ihnen bearbeitete Problem noch nicht gelöst ist. Pech haben sie, wenn alle Fragen beantwortet wurden und die Öffentlichkeit sich längst Neuem zugewandt hat. Die Robert Bosch Stiftung hat so gesehen Pech und Glück zugleich.

Als sie im März 2015 eine parteiübergreifende Kommission zur deutschen Asyl- und Integrationspolitik einberief, nahm die größte Flüchtlingskrise der Republik erst richtig Fahrt auf. Ein Jahr später hat sich die Welt stark gewandelt. Vor allem in der Erstaufnahme und Asylpolitik haben Bund und Länder Veränderungen schon beschlossen, die von der Kommission noch gefordert werden. Die Verfahren sind beschleunigt worden; das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bekommt Tausende neuer Mitarbeiter; die Struktur der Erstaufnahme wurde umgebaut. Viele Rufe sind also schon erhört worden.

Das ändert allerdings nichts daran, dass die Kommission unter der Leitung des CDU-Politikers Armin Laschet auch dort sinnvolle Vorschläge präsentiert hat, wo die Politik jetzt erst richtig hinkommt: bei der Frage, was für eine wirklich gelungene Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen noch nötig wird. Dabei geht es um Bildungschancen und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Es geht um bezahlbares Wohnen für alle. Und es geht um Fragen einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland. "Wir sind an dem Punkt, wo sich entscheidet, ob wir es schaffen", sagte Laschet am Mittwoch. Die Aufgabe der schnellen Aufnahme sei im Moment beruhigt, so der Politiker aus Nordrhein-Westfalen. Die entscheidende Frage stelle sich aber erst jetzt: Die Frage, ob diese Menschen wirklich integriert werden könnten. "Wenn es misslingt, ist der Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährdet", so Laschet.

Damit das nicht geschieht, lenkt die Kommission den Blick vor allem auf den Spracherwerb, die Bildung und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Zunächst zur Sprache. Hier empfiehlt die Bosch-Kommission, künftig sofort nach Ankunft anzusetzen. Noch in den Erstaufnahmeeinrichtungen sollte die Sprachfähigkeit geprüft werden; schnell danach sollten erste Sprachkurse beginnen. Auch Internet-basierte Kurse sollten gefördert werden. Eng mit Sprache und Bildung verbunden ist die Empfehlung, den Sprachstand von Flüchtlingskindern künftig in allen Bundesländern systematisch im Alter von vier Jahren zu erheben. Die Schulpflicht von Flüchtlingskindern soll spätestens drei Monate nach dem Asylantrag der Eltern wirken.

Ein vergleichbar schnelles und striktes Vorgehen empfiehlt die Kommission bei der Prüfung von Ausbildung und Berufserfahrung der Flüchtlinge. Auch das sollte kurz nach Ankunft geschehen - und möglichst bald in erste Integrationskurse münden. Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit, Mitglied in der Kommission, betonte, jede Wartezeit, in der sich der Flüchtling ans Nichtstun gewöhne, sei problematisch. "Eigentlich sollte jeder Flüchtling jeden Abend mit dem Gefühl ins Bett gehen, dass er was für seine Integration getan hat". In diesem Zusammenhang plädiert die Kommission dafür, die Angebote, die es für anerkannte Flüchtlinge gibt, auch auf Geduldete und Asylbewerber mit hoher Bleibeperspektive auszudehnen. Und um all das noch zu fördern, sollen die Bundesländer Netzwerke für ehrenamtliche Sprach- und Integrationslotsen aufbauen.

Beim Zugang in den Arbeitsmarkt beklagt Alt massive Hürden. So hält er die sogenannte Vorrangprüfung für unpraktikabel und würde sie am liebsten abschaffen. Sie ist eingeführt wurden, um vor Vergabe einer Stelle an einen Ausländer zu prüfen, ob nicht auch ein Einheimischer den Job übernehmen könnte. Ähnlich kritisch sieht Alt die Altershöchstgrenze bei der Berufsausbildung. Gerade derzeit gebe es viele Flüchtlinge, die älter seien als 28, aber sich hervorragend für eine Ausbildung eignen würden. Gelockert werden sollen zudem die Regeln bei der Förderung von Ausbildung. Die Kommission plädiert dafür, Begrenzungen beim Alter oder beim Flüchtlingsstatus aufzubrechen. Der Kommission gehörten neben Laschet und Alt unter anderem Nürnbergs OB Ulrich Maly, die Meinungsforscherin Renate Köcher und der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günther Burkhardt, an. Letzterer lieferte ein Sondervotum vor allem bei Asylfragen. Bemerkenswert geschlossen und entschlossen blieb die Gruppe gleichwohl an anderen Stellen. So fordert sie ein massives Wohnungsbauprogramm für sozial Schwache. Sie spricht sich für die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte aus und warnt dabei vor unterschiedlichen Standards in den Bundesländern. Und sie plädiert dafür, die Verteilung der Flüchtlinge stärker an regionalen Gegebenheiten auszurichten - der demografischen Entwicklung, der Finanzlage, der Lage auf dem Arbeits-und Wohnungsmarkt. Nur an einer Stelle bleibt sie zurückhaltend: Zu den Kosten all dessen wollte sie sich nicht äußern.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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