Richtlinien-Streit:Struck macht sich für die Wehrpflicht stark

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Der Erlass neuer verteidigungspolitischer Richtlinien (VPR) hat in der rot-grünen Koalition die Diskussion über die Wehrpflicht neu entfacht. Verteidigungsminister Peter Struck will sie beibehalten. Noch in diesem Jahr soll eine Entscheidung darüber fallen. Die Grünen dagegen sehen in der Wehrpflicht keinen Sinn mehr.

Nico Fried

(SZ vom 22.5.2003) - Kern der verteidigungspolitischen Richtlinien ist die Neuorientierung der Bundeswehr auf internationale Krisenbewältigung. Der Minister kündigte zudem die Schließung weiterer Standorte im Zuge der Umstrukturierung der Streitkräfte an.

Peter Struck (Foto: N/A)

Struck hatte die verteidigungspolitischen Richtlinien am Mittwoch im Kabinett vorgestellt. Sie seien "zustimmend zur Kenntnis genommen worden", sagte der Verteidigungsminister. Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer habe allerdings zu Protokoll gegeben, dass die Grünen in der Frage der Wehrpflicht anderer Auffassung seien.

Nach Angaben aus Regierungskreisen sollen sich auch Familienministerin Renate Schmidt, die für den Zivildienst zuständig ist, und Finanzminister Hans Eichel gegenüber einer Abschaffung zumindest aufgeschlossen gezeigt haben.

Struck kündigte an, in der SPD-Fraktion noch vor der Sommerpause eine Entscheidung über die Wehrpflicht herbeizuführen. Anschließend wolle man mit den Grünen verhandeln. Im Koalitionsvertrag war festgehalten worden, die Frage der Wehrpflicht bis zum Ablauf der Legislaturperiode im Jahr 2006 erneut zu prüfen.

Schließung weiterer Standorte

Struck plädierte vor allem mit gesellschaftspolitischen Argumenten für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Die Bundeswehr bilde durch ihre gesellschaftliche Einbindung "die größte Wir-AG in Deutschland". Erfahrungen aus anderen Ländern "ermutigen uns nicht", sagte Struck mit Blick auf Frankreich.

Seine Pariser Kollegin Michèle Alliott-Marie habe erst kürzlich berichtet, dass die Wahrnehmung der französischen Armee in der Gesellschaft deutlich abgenommen habe. "Ich möchte nicht, dass die Bundeswehr im Zuge der Reform in den Kasernen entsorgt wird", sagte Struck.

Eine Entscheidung über die Dauer des Wehrdienstes habe er noch nicht getroffen. Zu dieser und anderen Fragen soll Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan bis Ende dieses Jahres Vorschläge erarbeiten.

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Krista Sager, sowie der verteidigungspolitische Sprecher Winfried Nachtwei erklärten, ohne den Abschied von der Wehrpflicht gebe es "keine Reform aus einem Guss, sondern nur Stückwerk". Hier bestehe nach wie vor "realer Nachholbedarf".

Angesichts der "grundsätzlich richtigen Neuausrichtung" der Bundeswehr sei der "Versuch der krampfhaften Relegitimierung und Redogmatisierung der Wehrpflicht nicht nachvollziehbar".

Alle Versuche, sie weiterzuentwickeln, würden scheitern. Die Wehrpflicht sei "zunehmend ungerecht und eines der größten Modernisierungshindernisse", erklärten Sager und Nachtwei.

Wegen des Dissenses in der Frage der Wehrpflicht gingen die beiden Grünen auf Distanz zu Strucks neuen Richtlinien. Diese seien "die Position des Verteidigungsministers".

Der sicherheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Günther Nolting, nannte die Wehrpflicht ebenfalls "sicherheitspolitisch völlig überholt".

Zur Neuausrichtung der Bundeswehr sagte Struck, vorrangige Aufgabe sei künftig die internationale Konfliktverhütung und -bekämpfung, einschließlich des Anti-Terror-Kampfes. Dagegen könne ein Angriff auf das Territorium Deutschlands "derzeit und auf absehbare Zeit nicht unterstellt werden".

Struktur und Ausrüstung der Bundeswehr müssten sich daran orientieren.

Deshalb müsse man sich nun auf den Erhalt und die Verbesserung der Kernfähigkeiten konzentrieren. Die Neuorientierung wird auch zur Schließung neun weiterer Standorte der Bundeswehr führen.

Davon sind vor allem Flugabwehr-Gruppen betroffen. Struck räumte ein, dass dies eine "bittere" Entscheidung sei. Es sei aber nicht Aufgabe des Verteidigungsministers, kommunale Struktur- und Wirtschaftsförderung zu betreiben.

Die Union hält Strucks Überlegungen im Ansatz für richtig. Man habe aber nicht die richtigen Konsequenzen gezogen, sagte Vize-Fraktionschef Wolfgang Schäuble. Er forderte eine Grundgesetzänderung für Bundeswehr-Einsätze auf verschiedenen Ebenen.

(sueddeutsche.de)

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