Rezension "Hitlers letzte Zeugen":Schrecklich authentisch

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Ein amerikanischer Richter der Nürnberger Prozesse schildert die letzten Tage im Führerbunker auf Basis hunderter Augenzeugenberichte. Selten zuvor sind historische Quellen so anschaulich aufgearbeitet worden.

Von Bernd Oswald

Knapp 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus überaus intensiv. Jüngster Beleg: Der große Erfolg des Kinofilms "Der Untergang", den allein in Deutschland mehrere Millionen Menschen gesehen haben. Den letzten Tagen Adolf Hitlers im Berliner Führerbunker widmet sich nun auch das Buch "Hitlers letzte Zeugen". Geschrieben hat es Michael Musmanno, amerikanischer Richter der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg, der von 1945 bis 1948 in Deutschland mit rund 200 Augenzeugen der letzten Wochen Hitlers gesprochen hat.

Michael A. Musmanno: Hitlers letzte Zeugen, Herbig-Verlag, München 2004, 320 Seiten, 22,90 EUR, ISBN 3-7766-2413-2 (Foto: Foto: Verlag)

Rückkehr zu den Quellen

Nazi-Größen wie Großadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz, Reichsmarschall Hermann Göring, Rüstungsminister Albert Speer, Außenminister Joachim von Ribbentropp, sowie Führer der Wehrmacht und der SS hat Musmanno während der Nürnberger Prozesse verhört. Persönliche Gespräche führte der Marine-Offizier und Richter mit vertrauten Personen aus Hitlers nächster Umgebung wie Sekretärinnen, Adjutanten, Fahrern und Dienern.

Unter den Titeln "In zehn Tagen kommt der Tod" bzw. Ten days to die" erschien das Buch bereits 1950 in Deutschland und den USA. In der jungen Bundesrepublik stieß es aber damals nur auf sehr geringes Interesse. Fünf Jahre nach Kriegsende waren Themen wie dieses tabu.

54 Jahre später liegen die Dinge anders. Nun sei die deutsche Gesellschaft reif dafür, "zu den Quellen zurückzukehren", so der Historiker Hermann Graml im Vorwort.

In der Tat ist Musmannos Werk ein wertvolles und unvergleichliches Dokument der Zeitgeschichte. Nirgendwo sonst gibt es so viele Augen- und Ohrenzeugenberichte über diese zehn Tage im April 1945 auf so komprimiertem Raum wie in diesem Buch.

Plastisch, aber bisweilen befremdlich

Minutiös lässt der Richter aus den Berichten der Zeugen die Vorgänge im Führerbunker wieder auferstehen. Ohne Zweifel war Michael Musmanno nicht nur zeitlich näher dran als Joachim Fest, dessen Buch "Der Untergang" nun verfilmt worden ist. "Hitlers letzte Zeugen" ist auch authentischer, denn Musmanno hat mit den Augenzeugen gesprochen und ihre Aussagen stenographisch festhalten lassen.

Der Mann aus Pennsylvania schreibt sehr plastisch, stellenweise liest sich das Buch wie ein Thriller. Das wirkt angesichts des grausamen Geschehens und der Dramatik des Stoffes manchmal befremdlich.

Verleger Erik Droemer argumentiert, gerade weil Musmanno so lebendig und packend erzählt, habe er das Buch neu aufgelegt. Dass der Autor als Amerikaner ein distanzierteres Verhältnis zu Hitler und seiner Entourage hat, war Droemer zufolge ein weiteres Motiv.

Vollkommene Distanz kann Musmanno aber nicht einhalten. Er ist zuweilen subjektiv und er wertet manchmal auch da, wo er keine Zitate zum Beleg anführen kann. Wer so tiefen Einblick in so viel Böses bekommt, kann wohl nicht anders. Dennoch bleibt "Hitlers letzte Zeugen" als Quelle unverzichtbar für jeden, der sich mit den letzten Zuckungen im Herzen des Naziregimes befassen will.

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