Reportage:Jubelchor für den Solisten

Lesezeit: 6 min

Volksfeststimmung bei der CDU und den Grünen, Entsetzen bei SPD und FDP - doch überraschend ist nur, wie klar das erwartete Ergebnis ausfällt.

Von Ralf Wiegand

Hamburg, 29. Februar - Fanfarenklänge wehten schon kurz vor 18 Uhr durch die Galerien in der alten Fischauktionshalle, als sei die Messe bereits gesungen. Die Dame mit Perlenkette griff entschlossen zum Sekt, Brunckhorst Hausmarke trocken.

Wahlsieger Ole von Beust (Foto: Foto: dpa)

"Zu feiern gibt es ja auf jeden Fall etwas", sagte sie fröhlich, "und wenn nicht, dann ist Sekt wenigstens gut für den Kreislauf."

Aber dann ging die Party richtig los, bei Paella und Scampi bejubelt die CDU nach der ersten Prognose ihren grandiosen Sieg, ausgerechnet hier am Fischmarkt, im Herzen der einstmals durch und durch sozialdemokratischen Stadt.

Es ist jetzt ein schwarzes Hamburg. Zum Zeichen der Zeitenwende wehen vor der Halle im Wechsel das Wappen der Hansestadt und das Kürzel der neuen Macht: CDU.

Es war ein wunderschöner Tag gewesen, sanfter Wind blähte sachte die schneeweißen Segel auf der Alster, die Menschen flanierten an den Ufern und schnupperten am nahenden Frühling, und zwischendurch gingen sie wählen.

Man muss das erwähnen, weil es so selten geworden ist, dass eine Wahlbeteiligung steigt in diesen Zeiten - und soll es nicht auch Politikverdrossenheit gewesen sein, die vor gut zwei Jahren die Leute massenweise in die Arme des Populisten Ronald Schill getrieben hat?

Diesmal schien es gerade so, als wollten sie das beschämende Ergebnis von 2001 selbst korrigieren: Fast 80 Prozent besuchten die Wahllokale.

Letzte Ausfahrt Südamerika

Ein Aufschrei ging durch die Menge, als die ersten Zahlen auf der Großbildlein-wand erschienen. "CDU: 46,5" stand da um Punkt 18 Uhr. "Jaaaa", brüllte enthemmt einer und riss seine Faust hoch. Dann die Zahlen der Konkurrenz.

Als das Ergebnis von Ronald Barnabas Schill kam, war der Jubel fast noch größer als beim eigenen Ergebnis. Sie haben ihn offenbar gefürchtet, den Populisten, auch wenn das nun niemand mehr zugeben wollte. Und jetzt sind sie ihn los. Als schließlich Schill auf der Leinwand mit zerknitterter Miene sagte, er werde jetzt nach Südamerika auswandern, brandete überall Gelächter auf.

Alles anders

Aus fast jeder Ecke schaute er hier auf seine Anhänger herab, überlebensgroß auf Werbebannern: Ole von Beust. "Ihm kann man vertrauen", sagte Volker Petersen. Der 49-jährige Eventmanager ist erst vor einem halben Jahr in die CDU eingetreten. "Weil es nach 44 Jahren Stagnation endlich vorangeht mit der Wirtschaft in der Stadt", sagte er. Mit Ole ist eben alles anders.

Das hatte am Nachmittag wohl auch schon sein Herausforderer geahnt. Fünf Stufen führen hinauf zur Eingangstür der Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude, einem mächtigen Bau mit Klinker-Fassade und einst die erste und lange Zeit die einzige kooperative Gesamtschule Hamburgs.

Heute ist sie auch das Wahllokal des SPD-Kandidaten und Ole-von-Beust-Herausforderers Thomas Mirow, der in Winterhude lebt, in einem Haus mit Garten. Wer Erster Bürgermeister werden will, der muss das alles vorzeigen, das Haus, die Frau, die beiden Töchter, der muss mindestens einmal die Kameras reinlassen ins Allerheiligste und sich in Jeans und ohne Krawatte am Kaffeetisch ein Stückchen Kuchen auftun. Deswegen wissen die Hamburger jetzt, wie Mirows so wohnen.

Um halb elf am Morgen sind die Mirows wählen gegangen, um halb zwei haben sie zusammen etwas gegessen, und noch bevor ihn der Fahrdienst zur Lagebesprechung im Kurt-Schumacher-Haus, der SPD-Zentrale, abholte, wusste Mirow, dass die Wahlbeteiligung angezogen hat, "39,6 Prozent bis jetzt", sagte er, "das ist gut für uns." Da konnte er noch nicht ahnen, dass der SPD diesmal eine hohe Wahlbeteiligung nicht nutzte.

Homestory

Ole von Beust hat in Harvestehude gewählt, im Amt für Gesundheit in der Tesdorpfstraße. Die Alster ist in der Nähe, dort wollte der Erste Bürgermeister spazieren gehen. Beust lebt in einer Singlewohnung mit hohen Wänden und einem großen Sessel vor dem üppigen Bücherregal.

Auch er hat neulich für eine "Homestory" die schwere, weiß lackierte Tür aufschließen müssen und als erstes die Krawatte abgelegt, auf einem antiken Möbel im Flur.

Die Krawatte scheint ein Symbol der Mächtigen zu sein, weshalb man sie besser ablegt, wenn man bürgernah erscheinen will, wie ein König, der sein Zepter nicht zeigt. Es war alles sehr ordentlich in der Wohnung des Ole von Beust, aber es weiß ja niemand, wann die Aufnahmen gemacht worden sind, die kurz vor der Wahl das Menschliche an den Kandidaten dokumentieren sollten.

Beust jedenfalls sagte am Sonntag, nachdem er sein Kreuzchen sehr wahrscheinlich bei sich selbst gesetzt hatte, er wolle später noch die Wohnung aufräumen.

Schill hatte einen Wahlkampf unter Ausschluss der Öffentlichkeit führen müssen, da wirkte wohl das schlechte Gewissen der Medien nach. Vor zwei Jahren hatte gerade die machtvolle Springer-Presse den großspurigen Rechtsausleger gegen den rot-grünen Stillstand ins Feld geführt. Auf alles wusste Schill eine Antwort, und für jede Antwort fand er einen, der sie druckte.

In diesem Wahlkampf nun hatte er gejammert, man würde seine Erfolge verschweigen und die Wahlplakate zerstören, er beklagte "eine systematische Hetzkampagne" - und griff zum Tonbandgerät. "Moin moin, hier ist Schill. Ronald Schill", sprach er aufs Band, und dass Frauen nicht mehr alleine auf die Straße gehen könnten und man ihn doch bitte "weiter aufräumen" lassen solle in dieser schönen Stadt.

Ein Computer wählte dann die Anschlüsse aus, bei denen es klingelte. Widerspruch war zwecklos, der Schill vom Band ließ sich nicht unterbrechen, manche fanden ihn und seinen Text abends auf dem Anrufbeantworter.

Der letzte Akt

Wen am Sonntag die FDP anrief, der hatte das wenigstens selbst so gewollt: Die FDP bot einen Wahl-Weckdienst an, für Frühaufsteher und Langschläfer gleichermaßen, von sieben bis 17 Uhr. Die Liberalen wussten eben schon sehr früh, dass sie jede Stimme brauchen würden, um überhaupt wieder mitmachen zu dürfen in der Hamburger Politik. Das Wissen hat ihnen nicht geholfen.

Der Telefonterror des Ronald Barnabas Schill war der letzte Akt in einem Wahlkampf, der nun getrost im Nirgendwo zwischen Jette Joop und Heidi Kabel abgelegt werden darf. Modeschöpferin Joop machte Stimmung für Ole von Beust, indem sie in einem Interview mit der Bild-Zeitung die tolle Wirtschaftspolitik der CDU lobte und sich vorstellen durfte, vielleicht mal Kultursenatorin zu werden, aber erst wollte sie schon noch ein bisschen Unternehmerin sein.

Ohnsorg-Polittheater

Und Heidi Kabel, 89, seit Herbst Bewohnerin des Seniorenheims der Ernst & Claere Jung-Stiftung in Othmarschen, schreibt zwar mit Blick auf den grünen Park "das letzte Kapitel eines großen Schauspielerlebens", so die Morgenpost, vergisst dabei aber ihre SPD nicht.

Ein schöner Höhepunkt im Ohnsorg-Polittheater dieser Wahl war das, ehe am Sonntag nur noch die Sesamstraße das Feld räumen musste, damit wieder Politik gemacht werden konnte. Im Hamburger Congress Centrum (CCH) zogen die Journalisten ein, während Bibo, Ernie, Bert und das Krümelmonster auszogen nach ihrer letzten Musicalvorstellung hier.

"So ein Tag, wie ich ihn richtig mag, wie man ihn nicht allzu oft erlebt", hatten sie am Nachmittag auf ihrer Sesamstraße-Live-Tournee gesungen.

Am Abend zogen dann, an gleicher Stelle, endlich die anderen Krümelmonster ein. Ronald Schill kam als einer der Ersten. "Sind Sie in der Bürgerschaft?", fragte ihn jemand im Gehen. "Mal sehen", antwortete Schill und schien schon zu ahnen, dass er seinen Platz im Rathaus wird räumen müssen und das Fraktionsbüro auch, dass es vorbei ist mit den Diäten und Privilegien eines Abgeordneten.

Das Entsetzen der Genossen

Von "Schill und den Resten von Schill" hatte Bürgermeister Beust gesprochen, er wollte mit dem einen wie mit dem anderen nichts mehr zu tun haben. Jetzt gibt es nur noch Spurenelemente von Schill in Hamburg.

Im Kurt-Schumacher-Haus hörte man keine Fanfaren, es gab auch keine Scampi und keine Paella, sondern Brezeln und Wein. Wirklich exotisch war hier nur die Statistik auf den Monitoren, wo das schlechteste Ergebnis der SPD in ihrer früheren Hochburg überhaupt nur noch in kleinen Balken fast schüchtern nach oben wuchs.

Entsetzen packte die Genossen. Für Trotz war es ja noch viel zu früh nach einem Tag, der auch ohne Bibo, Ernie und Bert einer gewesen ist, den man nicht so oft erlebt.

"Für mich ist Schluss"

Thomas Mirow fand selbst im Gewusel des Pressezentrums eine Sekunde Zeit und einen Quadratmeter Platz, um sich an eine Wand zu lehnen und still vor sich hin zu starren. Um ihn herum streifte Thomas Böwer, der den Wahlkampf des Spitzenkandidaten managte, auch er hatte nichts mehr zu sagen.

Böwer steckte hinter der Strategie, Mirow als kompetenten Gentleman aufzubauen und die Angriffe auf das Denkmal Beust aus der zweiten Reihe zu fahren. Die Jusos stellten den Bürgermeister als Faulpelz hin, man sprach auffällig oft über die Homosexualität des Regierungschefs.

Es war der Versuch, Ole von Beust zu reizen und aus der Reserve zu locken - und nun standen sie da und überlegten, warum die Strategie gescheitert war.

"Die Hamburger wollten klare Verhältnisse", sagte Mirow und wünschte dem Bürgermeister viel Glück. Das ging ihm noch leicht über die Lippen. Erst als es um seine persönliche Zukunft ging, stockte die Stimme. "Für mich", sagte Thomas Mirow, der sein ganzes Leben lang ein Politiker war, der schon als Schüler bei Willy Brandt im Wohnzimmer saß, weil er mit dessen Sohn die Schulbank drückte, "für mich ist damit in der Hamburger Politik Schluss."

Ohnehin hatte sich seine Partei schwer getan, einen geeigneten Spitzenkandidaten zu finden, aber an diesem Abend rutschten sie plötzlich wieder auf null zurück. Der Spitzenkandidat abgelehnt, kein Nachfolger für den scheidenden Landesvorsitzenden Olaf Scholz in Sicht, und die traditionelle SPD-Wählerschaft mit fliegenden Fahnen an den neuen Ole-Fanklub der Stadt verloren. Kein Wunder, dass sich die Reihen schnell lichteten in der Hamburger Parteizentrale.

© SZ vom 1.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: