Reportage:Eine Feierstunde mit Störmoment

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Reinhold Bocklet sorgt nach seiner Entlassung als Minister für Europa- und Bundesangelegenheiten für einen Eklat im bayerischen Landtag.

Von Sebastian Beck

(SZ vom 15.10.2003) - Der Verlierer des Tages sitzt in Reihe zwei und trommelt nervös auf seiner Bank. Er gähnt, reibt sich die Hände, massiert sich den Nacken. Blättert in den Kopien seiner persönlichen Erklärung, die er gleich im Landtag verteilen wird. Aber den Ministerpräsidenten würdigt Reinhold Bocklet mit keinem einzigen Blick. Dabei thront Stoiber gerade mal drei Meter entfernt von ihm auf der Regierungsbank. Doch seit Montagmittag trennt die beiden langjährigen Weggefährten ein tiefer Graben.

An diesem Tag bestellte Stoiber seinen Minister für Europa- und Bundesangelegenheiten zu sich in die Staatskanzlei ein, um Reinhold Bocklet seine Entlassung mitzuteilen. Aus Gründen des Regionalproporzes, beschied ihm Stoiber, sei es leider unumgänglich, sich von einem überzähligen Oberbayern im Ministerrat zu trennen.

Direkte Attacke auf den Chef

Für Bocklet war das nicht nur das unerwartete Ende seiner Karriere in Bayern und Europa. Für ihn brach eine Welt zusammen. Im nächsten Jahr hätte der 60-Jährige den Vorsitz im EU-Ausschuss der Regionen übernehmen sollen. Auch der Einweihungstermin für die neue Bayerische Vertretung in Brüssel - ein Prachtschloss in der Nachbarschaft des EU-Parlaments - stand schon fest. Das ist jetzt alles vorbei.

Und so revanchiert sich der geschasste Minister nach der Vereidigung des Kabinetts mit einer Erklärung, in der er den allmächtigen Regierungschef direkt attackiert: "Politisch fragwürdig und ärgerlich" sei seine Entlassung, weil damit der Eindruck vermittelt werde, dass fachliche Kompetenz wenig zähle. "Dies ist kein positives Signal für den Stellenwert Europas in der bayerischen Politik."

Geradezu ungeheuerliche Sätze sind das für bayerische Verhältnisse. Noch dazu an einem offiziellen Jubeltag, an dem alle verfügbaren Weihrauchschwinger zum Einsatz kommen. Einen vergleichbaren Eklat hat es in der bayerischen Landespolitik seit vier Jahren nicht mehr gegeben: Damals probte Alfred Sauter einen offenen Aufstand gegen Stoiber, nachdem ihn dieser als Justizminister entlassen hatte.

Fachlich geschätzt und für sein cholerisches Wesen gefürchtet

Auch Bocklet sagt es im Münchner Maximilianeum jedem, der es wissen will, wie sehr er sich gedemütigt und betrogen fühlt. Sein blasses Gesicht ist dabei rot gefleckt, die Augen hinter seiner Goldbrille funkeln noch angriffslustiger als sonst. Erst vor wenigen Monaten, presst Bocklet heraus, habe Stoiber ihm versichert, dass er sein bester Mann sei und nach der Wahl im Amt bleiben werde. "Ich kann schließlich nicht jeden Tag hin gehen und fragen, ob er mich noch lieb hat", sagt er.

Vielleicht hätte er sich aber doch früher erkundigen sollen, wie seine Aktien beim Ministerpräsidenten stehen: Als Bayerns oberster Statthalter in Berlin und Brüssel war Bocklet sowohl fachlich geschätzt als auch für sein cholerisches Wesen gefürchtet. In der Beamtenschaft kursieren seit Jahren schon Horrorgeschichten über seine Wutausbrüche: "Morgens um acht schmeißt er uns raus, mittags stellt er uns wieder ein", sagte ein Beamter über Bocklets fünfjährige Amtszeit als Landwirtschaftsminister.

Solche menschlichen Unzulänglichkeiten werden nun als eigentliche Erklärung für seinen Rauswurf angeführt. Denn an die offizielle Version vom Regionalproporz wird in der CSU-Fraktion in Zweifel gezogen. Dort weinen ihm auch nur wenige nach, obwohl er schon seit 1994 im Landtag sitzt. Bocklet habe sich den Unmut von Stoiber und Staatskanzleichef Erwin Huber zugezogen, heißt es.

Stoiber reagiert eisig

Auch die einflussreichen Beamten in der Staatskanzlei seien schlecht auf den Minister zu sprechen gewesen. Vor allem im Berlin habe es zuletzt Schwierigkeiten gegeben. In der dortigen Landesvertretung heißt es, man könne sich an keine Ausfälle des Europaministers erinnern. Auch Bocklet selbst beteuert, dass in seinem Gespräch mit Stoiber am Montag kein einziges Mal von seinem umstrittenen Führungsstil die Rede gewesen sei. Er sieht sich schon als Opfer einer nachgeschobenen Rufmord-Kampagne: "Alles was jetzt behauptet wird, ist nicht wahr", schnaubt er.

Stoiber selbst reagiert eisig. Die Kritik Bocklets will er "in keinster Weise" kommentieren. Eins stellt er aber klar: "Die Europa-Politik wird vor allem auch vom Ministerpräsidenten repräsentiert." Es klingt ganz danach, als habe Bocklet im fernen Berlin und Brüssel vergessen, wer sein Chef ist. Dann macht sich Stoiber auf den Weg in die Staatskanzlei, um seinen Ministern die Ernennungsurkunden zu überreichen. Es ist ein schöner Herbsttag in Bayern, an dem sich nur einmal kurz ein Abgrund aufgetan hat.

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