Reportage:Angriff aus der zweiten Reihe

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Im Osten eine Option: Dagmar Enkelmann, PDS-Spitzenkandidatin für Brandenburg, könnte die erste Ministerpräsidentin ihrer Partei werden.

Von Arne Boecker

Vielleicht könnte man die Sache mit dem Aussehen gleich zu Beginn abhaken. Es stimmt, eine graue Maus ist Dagmar Enkelmann nicht. Gern trägt sie ein knallrotes Kostüm, zu allem Unglück ist sie auch noch blond, sehr blond.

Mit subtiler Häme haben Journalisten sie deswegen "blonde Spitzenkandidatin" getauft. Ob sie es wagen würden, Edmund Stoiber einen "blonden Ministerpräsidenten" zu nennen?

Als Dagmar Enkelmann am "Alten Gutshof" ankommt, lässt der Fanfarenzug Strausberg e.V. seine Instrumente am Boden. Hier ist sie "die Daggi" und nicht die Frau, die am 19. September die Politik aus den Angeln heben könnte.

Trotz Mitgliederschwund ist die PDS im Osten so verwurzelt wie nur noch die CSU in Bayern. Dagmar Enkelmann sitzt nicht nur im brandenburgischen Landtag, sondern auch im Bernauer Stadtrat.

Sie engagiert sich in zahllosen Vereinen und Initiativen, vom Kommunalpolitischen Forum ihrer Partei bis zum Artistenmuseum Klosterfelde. Als Spitzenkandidatin will sie für die PDS am übernächsten Sonntag die brandenburgischen Landtagswahlen gewinnen.

"Auf Marktplätzen komme ich nicht gut rüber"

Umfragen sehen die Sozialisten vorn. Wird Dagmar Enkelmann also die erste PDS-Kandidatin sein, die es ins Amt des Ministerpräsidenten schafft? "Bei Kundgebungen auf Marktplätzen komme ich nicht gut rüber", sagt sie selbstkritisch. Deswegen hat ihr die PDS eine kleine Talkshowbühne gezimmert.

Konzentriert versucht sie, so viel wie möglich von dem rüberzubringen, was ihr wichtig ist. Und ihr ist viel wichtig. Sie hat jedoch gelernt, dass Rentner im leichten Sommerdress nicht viele Zahlen vertragen.

Also sagt sie, dass es keinen Sinn mache, mit dem neuen Hartz-IV-Gesetz Arbeitslose in Jobs pressen zu wollen: "In Brandenburg kommen nun mal 250.000 Arbeitslose auf 10.000 offene Stellen."

Den Kapitalismus wünscht sich Dagmar Enkelmann ein wenig kuscheliger. Der neue Großflughafen für Berlin solle weniger groß ausfallen, und Arbeit schaffe man am ehesten in "regionalen Wirtschaftskreisläufen".

In ihrem Buch "Mein Brandenburg" schreibt sie: "Die berlinnahen Bezirke waren zu DDR-Zeiten der Gemüsegarten der Hauptstadt. Das hat weder Berlin noch den Gemüsegärtnern geschadet." Wenn man der PDS-Wahlkämpferin Dagmar Enkelmann zuhört, ist die Globalisierung nur ein fernes Donnergrollen.

Der "Alte Gutshof" in Strausberg ist ein Wendegewinner. Ein Schild verkündet stolz, dass der Hof "mit Hilfe der Bundesregierung" gepflastert worden sei.

Zu DDR-Zeiten hatte das Gelände zu einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft gehört, die Dagmar Enkelmanns Vater leitete. Als Heranwachsende stritt sie mit ihm manchmal über den Sozialismus.

"Ewige Wahrheiten aus der Schule"

"Ich kam mit meinen Idealen und mit -- sicher sehr einfachen -- ewigen Wahrheiten aus der Schule nach Hause", schreibt sie in ihrem Brandenburg-Buch. "Mein Vater öffnete mir die Augen für Probleme in der Genossenschaft, Kampf um jedes Ersatzteil, Selbstbetrug bei der Planerfüllung." Manchmal habe sie sich die Augen auch nicht öffnen lassen wollen.

Mit 21 trat die 1956 geborene Dagmar Enkelmann in die SED ein. An einer Hochschule der Freien Deutschen Jugend brachte sie Menschen aus dem "nicht-sozialistischen Währungsgebiet" bei, wie Marxisten-Leninisten Geschichte sehen.

Am 10. November 1989, dem Tag nach dem Mauerfall, sprach sie in der Berliner Akademie für Gesellschaftswissenschaften über ihr Promotionsthema: "Die Identitätskrise der Jugend in der DDR".

Unter den Fenstern zog die Jugend der DDR westwärts. Auf die Frage, warum sie sich als junge Frau mit einem System arrangiert habe, an deren Spitze eine altersgraue Herrenriege blutleere Floskeln absonderte, weiß Dagmar Enkelmann keine rechte Antwort. "Vieles war damals eben einfach so, wie es war." Und: "Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich in der DDR Repressionen gespürt hätte."

Am Runden Tisch wollte sie für die PDS mithelfen, "den Sozialismus von allem Scheußlichen und Kleingeistigen zu befreien", wie sie sagt. In ihrem Buch erinnert sie sich: "Die Gesellschaft, die zu schnell über uns kam, war nicht meine."

Patziger Grundton

Ein patziger Grundton zieht sich durch fast alle Kapitel: "Sollen wir uns nach dem Kapitalismus richten oder der sich nach uns?" Das Buch ist ein 62-Seiten-Schnellkurs darüber, wie viele in Ostdeutschland heute denken.

Der Gedanke, dass eine PDS-Frau Ministerpräsidentin werden könnte, jagt im Osten kaum jemandem Angst ein. Vielmehr wundert man sich darüber, dass der Westen diese Möglichkeit so schockierend findet.

Allerdings ist ein anderes Szenario wahrscheinlicher: Die Wähler machen die PDS am 19. September zwar zur stärksten Partei, aber die zweitplatzierte SPD erneuert die Koalition mit der CDU. "Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass wir eine PDS-Ministerpräsidentin Dagmar Enkelmann einfach durchwinken und brav den Vize stellen", sagt ein führendes Mitglied der Bundes-SPD.

Wenn man nach Spuren sucht, welche die Politikerin Dagmar Enkelmann hinterlassen hat, findet man keine Idee, die die Welt, Deutschland oder auch nur Brandenburg bewegt hätte.

In Potsdam ziehen PDS-Haudegen wie Heinz Vietze an den Strippen. Dagmar Enkelmann ist eigentlich nur in der Umweltpolitik aufgefallen. Seit vergangenem Jahr ist sie außerdem Stellvertreterin des PDS-Bundesvorsitzenden Lothar Bisky.

"Nie Exponiert"

Stefan Liebich, der die PDS-Fraktion im rot-rot regierten Berlin führt, sagt: "Im PDS-internen Streit um grundlegende Fragen der Politik hat sie sich nie exponiert."

Das lässt Dagmar Enkelmann zwar blass erscheinen, macht sie aber zur idealen Moderatorin. "Ich war immer nach allen Seiten dialogfähig", sagt sie. Ihr sei klar, dass sie "manchmal zu nett" sei. "Doch ich arbeite daran."

In Potsdam sind PDS-Funktionäre anzutreffen, die Dagmar Enkelmanns Konturenlosigkeit schärfer kritisieren, als dies der diplomatische Stefan Liebich tut. "Allerhöchstens das Umweltministerium" traue er ihr zu, sagt einer, "und auch das nur mit einem guten Staatssekretär."

Die Spitzenkandidatin und Fast-Ministerpräsidentin Dagmar Enkelmann muss damit leben, dass sie als sozialistisches Funkenmariechen beargwöhnt wird, das wieder mal nach der Melodie älterer Herren tanzt.

© SZ vom 8.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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