Renate Künast über Atomausstieg:"Man kann das Volk nicht mehr für dumm verkaufen!"

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Wo sind die Grünen in der Diskussion um die Pannen in den Kernkraftwerken? Sie sind noch da, und zwar mit Wut im Bauch: Renate Künast, die Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag, über Bauernopfer, Vollchaos in Krümmel und das Zusammenrücken von Politik und Stromkunden.

Sarina Märschel

sueddeutsche.de: Von den Grünen war es ja in den letzten Tagen ziemlich still zum Thema Atomausstieg.

Renate Künast ist Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. (Foto: Foto: dpa)

Renate Künast: Das stimmt so nicht. Wir sind nicht still, sondern es wird in erster Linie die Exekutive zitiert.

sueddeutsche.de: Also die Grünen stehen nach wie vor zu dem, was sie vor 20 Jahren über Atomausstieg gesagt haben?

Künast: Die Forderung nach dem Atomausstieg war vor 20 Jahren richtig und ist es heute, weil der einzige Umgang mit der Risikotechnologie ist: sie gar nicht anwenden. Und bei der Lösung der Endlagerfrage war es richtig, um Krebs und Todesfälle zu vermeiden.

Diese Begründungen stimmen heute noch. Die Herausforderungen des Klimawandels müssen wir mit anderen Mitteln angehen: mit Effizienz, Einsparen und erneuerbaren Energien. Aber man muss es auch anpacken. Hinhalten und ewige Laufzeitverlängerungsversuche, wie es die Energieversorger machen, verhindern nur, in neue Technologien zu investieren.

sueddeutsche.de: Wie gehen Sie denn mit der Frage um, dass aufgrund der CO2-Emissionen vielleicht ein späterer Atomausstieg empfehlenswert wäre?

Künast: Erstens: Man kann den Klimawandel nicht mit der Risikotechnologie Atom bekämpfen. Das wäre eine Wahnsinnsstrategie. Zweitens, wir haben nachgerechnet und wir stellen fest, dass es ohne Atomenergie geht. Wir sind auch nicht die einzigen, die sagen: Atomenergie braucht man nicht. Auch der Großteil der Bevölkerung lehnt Atomkraft ab.

sueddeutsche.de: Geben die Vorfälle der politischen Diskussion um das Abschalten der AKWs nochmal Auftrieb?

Künast: Ja, denn es zeigt: Atomenergie ist eine Risikotechnologie. Ich gucke mit Entgeisterung darauf, dass nun stückchenweise herauskommt, dass bei den Vorfällen in Krümmel das Vollchaos herrschte. Wie kann es denn sein, dass sich in der Leitwarte zig Personen aufhalten, die da gar nicht hingehören? Wir gehen mit einer hoch riskanten Technologie um! Da muss es einen konzentrierten Ablauf geben für die Frage: Wann kommuniziert wer mit wem? Es muss Kommunikationsregeln geben und wer da nichts zu suchen hat, muss verschwinden, um nicht noch zur fehlenden Konzentration beizutragen.

sueddeutsche.de: Betrifft das nur den Konzern Vattenfall oder sollte man nochmal auf die gesamte Kommunikation und Organisation der AKW-Betreiber schauen?

Künast: Also, bisher hat es den Anschein gemacht, dass das komplett fehlende Sicherheitsempfinden nur Vattenfall betrifft. Jetzt fällt mir aber wie Schuppen von den Augen, dass es möglicherweise gar keine festen Regeln für Kommunikation gibt, schließlich gab es ja gar kein Bewusstsein dafür. Es sollten alle Landesatomaufsichten jetzt bei ihren Betreibern mal prüfen, ob überhaupt und welche Regeln vor Ort gelten.

sueddeutsche.de: Hätte das vor 20 Jahren auch 18 Tage gedauert, bis der Atom-Chef von Vattenfall gehen muss?

Künast: Ich weiß es nicht, ob es auch 18 Tage gedauert hätte oder ob der Atom-Chef vor 20 Jahren gar nicht abgelöst worden wäre. Ich kann mir vorstellen, vor 20 Jahren hätten sie es einfach ausgesessen. Die Tatsache, dass der Atomspartenchef abgelöst wurde, ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass sie begriffen haben, dass man das Volk nicht mehr für dumm verkaufen kann.

Daher ist es gut, dass Politik, Exekutive und Stromkunden Vattenfall klar gemacht haben: Das akzeptieren wir nicht. Doch das Problem an sich ist mit der Entlassung des Atommanagers Thomauske nicht gelöst. Erstens, Vattenfall hat keine Sicherheitskultur und kein entsprechendes Risikobewusstsein und zweitens: ein Bauernopfer hilft nicht. Schließlich geht es um die ältesten Atomkraftwerke, und je älter ein Meiler ist, desto störanfälliger ist er. Wenn dann noch menschliches Fehlverhalten dazukommt sind Pannen programmiert. Die einzige Lösung heißt also: Abschalten.

Renate Künast ist seit Oktober 2005 Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Die Juristin und Sozialarbeiterin war unter anderem Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.

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