Regierungserklärung:Kurze Schulzeit, hoher Druck

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Lehrerverbände warnen vor einem bildungspolitischem Desaster

Von Martin Zips

(SZ vom 5.11.2003) - Noch 24 Stunden. Dann verliest Edmund Stoiber seine Regierungserklärung. Was folgt? Bayerns Lehrer befürchten: ein bildungspolitisches Desaster. Sie warnen nicht nur vor der Kürzung der gymnasialen Schulzeit.

Auch der Plan, Schüler künftig schon als Fünfjährige einzuschulen und die Verordnung einer Anwesenheitspflicht für Lehrer auch an Nachmittagen, könnte bayerische Bildungsqualität verblassen lassen, betonen die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Lehrerverbände (ABL). Auch BLLV-Präsident Albin Dannhäuser befürchtet eine Verschlechterung der Lern- und Arbeitsbedingungen von Schülern und Lehrern. "Man kann nicht die Priorität auf Bildung setzen und dann aber nach dem Rasenmäherprinzip kürzen."

Von einer ohnehin schon überdurchschnittlichen Belastung der Lehrer spricht der Vorsitzende des Philologenverbandes, Max Schmidt. Würden die Pädagogen jetzt - ohne gleichzeitige Entlastungsmaßnahmen - dazu angehalten, noch mehr Zeit mit Schülern zu verbringen, würden Zumutbarkeitsgrenzen deutlich überschritten. Schmidt ist gegen die Abschaffung des neunjährigen Gymnasiums und kündigt für den Fall einer Rückführung auf acht Jahre Proteste bei Lehrern, Eltern und Schülern an. "Aber ich muss davon ausgehen, dass der Ministerpräsident bei seiner Regierungserklärung eine Kürzung verkünden wird", sagt Schmidt.

Wegen fehlender finanzieller Mittel und eines massiven Lehrermangels sei der Parallelbetrieb zweier Gymnasialformen unterschiedlicher Länge jedoch derzeit nicht vorstellbar. Auch die Komprimierung des Lehrplans sei ohne die gleichzeitige Schaffung "von Hunderten neuer Lehrstellen" derzeit unmöglich. Ebenso wie die individuelle Betreuung unterschiedlich alter Erstklässler.

Peter Römisch von der Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern sieht vor allem die Schüler als Opfer der Streichung eines Gymnasialjahres. Sie müssten entweder den gleichen Stoff in kürzerer Zeit beherrschen und hätten so für Musik, Sport, Theater und andere Freizeitaktivitäten keine Zeit. Alternative: Die Oberschule konzentriert sich fortan auf die Abiturpflichtfächer Deutsch, Englisch und Mathematik.

Doch so oder so würden "stromlinienförmige junge Menschen" produziert, wie sie sich höchstens die Wirtschaft, nicht aber die demokratische Gesellschaft wünschen könne. Und Sonya Popa-Henning von der Landesschülervertretung meint: "Die neuen Lehrpläne wären dann hinfällig, der ohnehin eklatante Leistungsdruck würde sich noch einmal verstärken."

Sie warnt vor einer Überbetonung des Effizienz-Gedankens in der Bildungspolitik. "Als Schüler sehen wir uns nicht als Humankapital." Der Vorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbandes, Peter Peltzer, wiederum hält gar nichts von einer ministeriell verordneten nachmittäglichen Präsenzpflicht von Pädagogen an Schulen.

Es fehle an geeigneten Räumen und an Computern, um fortan auch dort - statt daheim - Arbeiten zu korrigieren und den Unterricht vorbereiten zu können. Max Schmidt vom Philologenverband schlägt eine Nachmittagsbetreuung direkt an den Wohnorten der Kinder sowie ein "Online-Gymnasium Bayern" vor. Schüler könnten dort via Internet - im Chat oder auf E-Mail-Anfrage - Hilfe von Experten erhalten.

Noch 24 Stunden bis zur Regierungserklärung. Und noch kann jeder hoffen, gehört zu werden.

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