Reformen:Gewerkschaften lähmen Frankreich

Lesezeit: 2 min

Raffinerien, Kraftwerke, Flughäfen - großflächige Streiks sollen kurz vor der Fußball-EM die Gesetzespläne der Regierung aufhalten. Diese will Kündigungsschutz und 35-Stunden-Woche lockern.

Von Christian Wernicke, Paris

Zwei Wochen vor der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich legen Streiks und Proteste das Land teilweise lahm. Mit Straßenblockaden vor Raffinerien und Ausständen in Atomkraftwerken haben Frankreichs linke Gewerkschaften am Donnerstag versucht, die sozialistische Regierung zum Verzicht auf eine Reform des Arbeitsrechts zu zwingen. In Paris und anderen Großstädten zogen Zehntausende durch die Straßen, um gegen die geplante Lockerung von Kündigungsschutz und 35-Stunden-Woche zu protestieren.

Landesweit schätzten die Gewerkschaften die Zahl der Demonstranten auf 300 000, die Polizei sprach von 153 000 Teilnehmern. In Paris kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und einer Minderheit vermummter Teilnehmer. Schaufenster gingen zu Bruch. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm 31 Demonstranten fest. Der Energiekonzern EDF, der mit seinen 19 Atommeilern drei Viertel des französischen Stroms produziert, bestritt jede Gefahr eines Blackouts: "Die Produktion ist gesichert", betonte eine Sprecherin. In der Tat blieben die Streiks in mindestens 16 der 19 Atomkraftwerke ohne Auswirkungen auf die Elektrizitätsversorgung. Gewerkschaftsfunktionäre räumten ein, man wolle mit den Ausständen nicht riskieren, Kernkraftwerke abschalten zu müssen. Zu Engpässen kam es jedoch erneut bei der Benzinversorgung, ungefähr jede fünfte von Frankreichs 11 500 Tankstellen blieb ohne Sprit. Im Großraum Paris und im Süden des Landes bildeten sich lange Schlangen vor vielen Tankstellen. Die Regierung ließ Blockaden vor elf Tanklagern mit Polizeigewalt räumen.

Premierminister Manuel Valls warnte, die Streiks schadeten Frankreichs Wirtschaft. Insbesondere der Gewerkschaft CGT, die den Kommunisten nahesteht, warf er vor, mit ihren Aktionen das Land zu blockieren. "Die CGT kann nicht die Gesetze diktieren", sagte er. Einen Verzicht auf die Arbeitsrechts-Reform, von der sich die Regierung mehr Neueinstellungen erhofft, schloss Valls aus: "Eine Rücknahme dieses Textes würde bedeuten, dass wir unfähig zu Reformen wären."

Der Regierungschef lud die Gewerkschaften der Öl-Industrie für Samstag zu neuen Gesprächen ein und deutete an, es könne "immer Veränderungen und Verbesserungen" an Gesetzentwürfen geben. Valls weigerte sich jedoch, den Kern der Reform anzutasten. Darin geht es um mehr Flexibilität durch Vereinbarungen auf Betriebsebene anstelle nationaler Verträge für die gesamte Branche. Die Gewerkschaften sehen ihre Verhandlungsmacht bedroht. Präsident François Hollande stärkte seinem Premier den Rücken und erklärte am Rande des G-7-Gipfels in Japan, Valls habe "exakt die richtigen Worte gewählt".

Ohne massive Störungen verliefen die Streiks bei Eisenbahnen und im Pariser Schnellbahnnetz. Ende kommender Woche wollen die Fluglotsen die Arbeit niederlegen. Die Regierung muss befürchten, dass die Streiks sich bis zum Beginn der Fußball-EM am 10. Juni hinziehen.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: