Reformen:Europäische Sommergedanken

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Der französische Präsident Hollande liegt richtig: Die Euro-Zone braucht einen Finanzminister, vielleicht sogar ein gemeinsames Budget und Parlament.

Von Alexander Mühlauer

Zuweilen ist es der Sommer, der einen auf neue Gedanken bringt. Wer Glück hat, erreicht in den Ferien diesen Zustand des Loslassens, der das Unerfüllte bewusst macht. Wie gut also, dass nun in Brüssel die politische Sommerpause beginnt, jetzt, da man sich mit Griechenland (vorerst) geeinigt hat. Wer kann, verlässt die Stadt und kommt erst Ende August wieder. Spätestens dann wird man sie dringend brauchen, all jene Gedanken zur großen Frage, wie es nun weitergehen soll mit dem Euro und Europa.

Der Denkanstoß für diesen Sommer kommt aus Paris. Frankreichs Präsident François Hollande fordert nicht weniger als eine europäische Wirtschaftsregierung - mit Euro-Finanzminister, Euro-Zonen-Parlament und Euro-Budget. Es ist kein Zufall, dass dieser Vorschlag ausgerechnet von Hollande kommt; er lenkt so von seinen eigenen Problemen ab. Seit sieben Jahren verstößt Paris gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der einst geschlossen wurde, um die Euro-Zone krisenfest zu machen. Gäbe es die griechische Misere nicht, würden die Euro-Partner vor allem über ein Thema streiten: den chronischen Defizitsünder Frankreich. Doch so durchschaubar Hollandes Taktik auch sein mag, seine Gedanken sind absolut richtig.

Frankreichs Präsident will den Euro langfristig sicher machen. Und er hat recht, denn genau darum geht es jetzt. Nach fünf Jahren Griechenland-Krise ist es an der Zeit, die Wirtschafts- und Währungsunion zu reformieren. Wer nicht will, dass schon bald wieder über das nächste Hilfspaket geredet wird; wer nicht will, dass eine Regierung die anderen erpressen kann; wer nicht will, dass der Euro erneut in Gefahr gerät - für den kann es nur eine Antwort auf das Rettungsdesaster der vergangenen Jahre geben: mehr Europa.

Die Krise zeigt: Die Euro-Länder brauchen mehr Integration

Die Frage ist nur: Wie schafft es die Politik, das Volk dafür zu gewinnen? In Rom, Paris und Berlin spürt man die Angst der Regierenden, den Bürgern zu viel Europa zuzumuten. Wie zaghaft selbst überzeugte Europäer denken, offenbarte im Frühjahr der sogenannte Fünf-Präsidenten-Bericht von Jean-Claude Juncker, Martin Schulz, Donald Tusk, Mario Draghi und Jeroen Dijsselbloem. In vorsichtiger, fast unterwürfiger Bürokraten-Sprache steht da: "Längerfristig könnte erwogen werden, einen ständigen hauptamtlichen Vorsitz der Euro-Gruppe einzurichten." Mutig klingt anders. Mutig wäre es zu sagen: Wir brauchen einen Euro-Finanzminister!

François Hollande hat diesen Mut. Bleibt zu hoffen, dass er und die anderen Staats- und Regierungschefs auch gewillt sind, noch mehr Souveränität nach Brüssel abzugeben. Anders wird es nicht gehen. Der Euro kann als gemeinsame Währung nur überleben, wenn es eine gemeinsame Wirtschaftspolitik gibt. Dafür braucht es nicht nur Sanktionsinstrumente wie den Stabilitäts- und Wachstumspakt, es braucht vor allem Anreize für mehr Wachstum. Deutschland etwa müsste stärker investieren, also mehr Geld für marode Straßen und Schulen ausgeben.

Auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass die Mitgliedsstaaten immer mehr Macht an Brüssel abgeben, ohne etwas dafür zu bekommen. Wer die Gunst des Volkes nicht an Anti-EU-Populisten à la Strache und Le Pen verlieren will, muss sich fragen, wie es anders geht. Es gibt Lebensbereiche, die Nationalstaaten einfach besser regeln können als die Bürokraten in Brüssel. (Und dieser Meinung ist nicht nur das Pfund-Land Großbritannien.)

Wenn es die Mitgliedsländer schaffen, bei großen Fragen wie dem Euro Souveränität abzugeben, wäre viel erreicht. Genauso wichtig wäre es aber, wenn es Brüssel schaffen würde, ein Stück Souveränität zurückzugeben. Nach dem Sommer kann die EU zeigen, ob sie diese Kunst überhaupt beherrscht: die Kunst des Loslassens.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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