Reden in der Knesseth:Nicht auf die Sprache, auf die Worte kommt es an

Lesezeit: 3 min

Von Dienstag bis Freitag besucht Bundespräsident Köhler Israel. Auch in der Knesseth will er reden. Vorgänger Johannes Rau sprach als erster Deutscher im israelischen Parlament - in seiner Muttersprache. Prompt hagelte es Proteste - wie jetzt auch bei Horst Köhler.

Von Melanie Zerahn

20 Jahre hatte es nach Ende des Zweiten Weltkriegs gedauert, bis die Bundesrepublik und Israel diplomatische Beziehungen aufnahmen. Weitere 35 Jahre vergingen, bis erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt im israelischen Parlament sprechen durfte - eine Entscheidung, die in der Knesseth überaus umstritten war.

Rau bei seiner historischen Rede vor der Knesseth. Im Hintergrund der damalige Knesseth-Präsident Avraham Burg (M.) und Präsident Ezer Weizman. (Foto: Foto: Reuters)

Das merkte Johannes Rau nicht nur im Vorfeld, sondern auch als er am 16. Februar 2000 den halbleeren Plenarsaal betrat. Für einen Moment sah es so aus, als komme es zu einer offenen Brüskierung. Nach und nach jedoch füllten sich die Reihen, und als Rau zu reden begann, waren etwa zwei Drittel der Abgeordneten auf ihren Plätzen.

Sprache, die schmerzt

"Deutsch ist nicht nur die Sprache von Heine, Freud und Einstein, sondern auch von Hitler und Himmler", sagte der damalige Knesseth-Präsident Avraham Burg. Er habe lange mit sich gerungen, bevor er Rau erlaubt habe, die Knesseth auf Deutsch anzusprechen. In der Sprache, die so sehr schmerzt in den Ohren vieler Zuhörer.

Burg fügte aber hinzu: "Wie wollen dem anderen deutschen Volk vertrauen." Er bezeichnete Köhlers Vorgänger als den "größten Freund Israels in Deutschland". Israel würdigte damit demonstrativ das jahrzehntelange Versöhnungswerks Raus.

Rau habe Israel mehr als 30 Mal besucht und immer wieder versucht, im eskalierenden Nahost-Konflikt zu vermitteln, so der damalige Knesseth-Präsident. Nicht auf die Sprache, auf die Worte kommt es an, wollte Burg sagen.

Internationale Anerkennung

Die Rede Raus war ein Durchbruch in den beiderseitigen Beziehungen und stieß auf große internationale Anerkennung. "Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte", sagte der deutsche Bundespräsident und bat "um Vergebung für das, was Deutsche getan haben."

Rau war sensibel genug, den Konflikt um die deutsche Sprache zu würdigen: "Ich weiß, was es für manchne von Ihnen bedeutet, in diesem Hohen Hause heute die deutsche Sprache zu hören", und weiter: "Ihre Entscheidung, mich einzuladen, erfüllt mich mit Dankbarkeit."

"Ich kann es nicht ertragen"

Einige israelische Abgeordnete haben auch jetzt dagegen protestiert, dass Bundespräsident Horst Köhler bei seinem Israel-Besuch in der Knesseth eine Rede in deutscher Sprache hält. Gesundheitsminister Dani Naveh kündigte an, er wolle die Feier zum 40-jährigen Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland boykottieren.

Der stellvertretende israelische Parlamentspräsident Hemi Doron erklärte: "Mein Fuß hat nie deutschen Boden betreten, und ich kaufe keine deutschen Produkte." Sein Großvater sei von den Nationalsozialisten ermordet worden. "Ich kann es nicht ertragen, diese Sprache im Abgeordnetenhaus des jüdischen Volkes zu hören." Daher müsse Köhler seine Rede in Englisch halten, berichtet die Tageszeitung Ma´ariv.

Reich-Ranicki: Blanker Unsinn

Nach Ansicht des Parlamentspräsidenten Reuven Rivlin allerdings ist "es klar, dass ein Israel besuchender Präsident in seiner eigenen Sprache vor der Knesseth redet". Es wäre besser, so der für das Protokoll zuständige Rivlin, einen Gast gar nicht einzuladen, als von ihm zu verlangen "in einer anderen Sprache als der eigenen zu reden".

Als "beschämend und letzlich unbegreiflich" hat Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki die Kritik der Abgeordneten bezeichnet. Es sei "blanker Unsinn", wenn in Israel behauptet werde, die deutsche Sprache sei durch die Verbrechen der Nazis diskreditiert, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Wahr ist vielmehr, dass die deutsche Sprache von den Nazis missbraucht und von Hitler und vielen seiner engsten Mitarbeiter verhunzt wurde", erklärte der 84 Jahre alte jüdische Literaturkritiker, der zu den letzten Überlebenden des Warschauer Gettos zählt.

Elf arabische Länder brachen Kontakt ab

Köhler will bei seinem Besuch in Israel kommende Woche die vor 40 Jahren begonnenen diplomatischen Beziehungen besonders würdigen. Der eigentliche Jahrestag ist der 12. Mai. An diesem Tag vereinbarten der israelische Ministerpräsident Levi Eschkol und Bundeskanzler Ludwig Erhardt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Im folgenden August traten die Botschafter Rolf Pauls und Ascher Ben Natan ihre Posten an. Gleichzeitig brachen elf arabische Länder ihre Kontakte zu Deutschland ab.

Angesichts des Holocaust werden die deutsch-israelischen Beziehungen nie "normal" sein können. Im Schatten der Nazi-Barbarei standen sie in den 50er Jahren fast ganz still. Mitunter mühsam entwickelte sich danach zwischen beiden Ländern ein Verhältnis, das von beiden Seiten heute als "besondere Beziehungen" charakterisiert wird.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: