Rechtsradikale in Italien:Zu Tode geprügelt, einfach so

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Italiens Rechtsradikale schrecken vor keinem Exzess zurück - auf eine tödliche Attacke in Verona folgen antizionistische Proteste in Turin. Das Land fürchtet eine neue Welle politischer Gewalt.

Stefan Ulrich, Rom

Nicola Tommasoli hat es nicht geschafft. Mehrere Tage lang lag der 29-Jährige im Koma, jetzt gaben die Ärzte seinen Hirntod bekannt. Die Polizei nahm ugleich die letzten beiden seiner mutmaßlichen Mörder fest. Die fünf Burschen um die 20 Jahre sollen der Skinhead- und Neonazi-Szene nahestehen. Sie hatten Tommasoli in der Altstadt angesprochen, wohl aus purer Lust an der Gewalt zu Boden geschlagen und dann zusammengetreten.

Sie flohen erst, stellten sich dann aber auf Druck ihrer Eltern doch. Der Fall ist damit aber nicht abgeschlossen: Denn ausgerechnet Verona, die Stadt Romeo und Julias, die Stadt der Liebe, ist zum Symbol für die Angst geworden, die in Italien umgeht. Die Angst vor Hass, Intoleranz, Gewalt, sozialem Verfall und einer Rückkehr des Terrors von rechts und links, wie er die sechziger und siebziger Jahre überschattete.

Die Verunsicherung ist in allen Großstädten des Landes zu spüren. Erbärmliche Slums voller Einwanderer am Tiber-Ufer in Rom, nächtliche Alkoholorgien auf den Straßen um die Universität von Bologna, Gewaltexzesse rund um Fußballspiele und allenthalben auftauchende Handy-Videos von sadistischen Quälereien unter Schülern - das alles lässt viele Bürger fürchten, Italien verfalle.

Der Wunsch nach mehr Sicherheit

Ein Grund für die jüngsten Wahlerfolge des Mitte-rechts-Lagers um Silvio Berlusconi liegt im Wunsch vieler Menschen nach mehr Sicherheit. Sie haben den Eindruck, die Linke vernachlässige das Thema - aus Desinteresse oder ideologischen Gründen. Linke Kritiker bemängeln dagegen, gerade rechte Politiker trügen mit fremdenfeindlichen Parolen zu einem Klima der Gewalt bei.

Verona wird seit einem Jahr von Flavio Tosi regiert, einem Politiker der populistischen Lega Nord. Kurz vor seiner Wahl wurde er wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt, der Richterspruch wurde später jedoch aufgehoben. Tosi setzt vor allem auf Sicherheit und den Kampf gegen illegale Einwanderung. Er wird auch von der neofaschistischen Partei Movimento Sociale - Fiamma Tricolore unterstützt. Neben der Fiamma sind in Verona andere rechtsextreme Gruppierungen aktiv, etwa die Veneto Skinhead Fronte. Auch unter die Fans des Fußballclubs Hellas Verona mischen sich immer wieder radikale Rechte.

In den vergangenen zwei Jahren kam es in der Stadt zu einer Serie von Gewalttaten mit neofaschistischem Einschlag. Laut den Ermittlern sollen die Täter, unter ihnen auch junge Frauen, mindestens 13 Mal zugeschlagen haben. Die Randalierer trafen sich gerne auf der Piazza delle Erbe, um von dort aus gegen Ausländer, Süditaliener oder Menschen vorzugehen, deren Haarlänge oder Kleidung ihnen missfielen. Als Motive machte die Polizei Feindschaft aus "gegenüber Menschen, die anders sind" und "den Willen, das eigene Revier zu markieren".

Umstritten ist, welchen Anteil Politik und Ideologie an der Gewaltwelle haben. "Wir stehen vor einer neofaschistischen Aggression, die nicht unterschätzt werden darf", warnt Walter Veltroni, der Chef der linksliberalen Demokratischen Partei. In Italien herrsche ein politisches und kulturelles Klima, in dem Intoleranz und Hass auf Schwächere gediehen. Tosi sagt dagegen, der Mord habe nichts mit Politik zu tun: "Der Angriff richtete sich nicht gegen die Linke. Die Täter waren eine Gruppe von Schwachsinnigen."

Kurz vor dem nächsten Exzess

Auch Massimo Cacciari, Philosoph und Bürgermeister von Venedig, glaubt, die Gewalt sei kaum politisch motiviert - anders als früher. Jugendliche Täter wie in Verona seien, aller Fascho-Utensilien zum Trotz, "nicht das Produkt von Ideologien oder Ideen, sondern, im Gegenteil, das Produkt einer Ideenkrise". Früher hätten die Extremisten Bücher gelesen und politische Bildung besessen. Heute seien sie "total desintegriert". Die Gewalt sei ihnen Selbstzweck.

Während so im Fall Verona Ursachenforschung betrieben wird, bereitet sich die Polizei auf den nächsten möglichen Exzess vor. Diesmal könnte er aus der linken Ecke kommen. Am Donnerstag will Staatspräsident Giorgio Napolitano die Buchmesse in Turin eröffnen. Gastland ist in diesem Jahr Israel, was bereits zu heftigen Protesten von Gruppen wie der Partei Italienische Kommunisten geführt hat. Einige Aktivisten der weit links stehenden Sozialzentren verbrannten am 1.Mai im Zentrum Turins israelische Flaggen. Nun befürchten die Behörden, am Donnerstag könne Gewalt ausbrechen. Noch kritischer dürfte es am Samstag werden, wenn Demonstranten aus ganz Italien zu einer Großkundgebung anreisen. Manche haben angekündigt, das Verbot zu durchbrechen, ins Messezentrum zu marschieren.

Der neue, rechte Präsident des italienischen Abgeordnetenhauses, Gianfranco Fini, sagte, die antizionistischen Attacken in Turin seien noch schlimmer als "die Angriffe der Nazi-Skins von Verona". Das hat ihm heftige Kritik eingebracht. "Angesichts des Todes eines jungen Mannes ist es verfehlt, eine Rangliste aufzustellen", rügte etwa Veltroni. Die Menschen in Verona versuchen derweil zu begreifen, was in den jugendlichen Schlägern vorgeht. Die Nachrichtenagentur Ansa zitiert eine Frau mit den Worten: "Es sind alle unsere Söhne, und wir sind alle verzweifelt."

© SZ vom 07.05.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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