Rechtsradikale in der Uckermark:Ein Mord und weiter nichts

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In der Uckermark wird ein Mann zu Tode getrampelt, zwei junge Rechte sitzen in Haft - nun ringt die Stadt um Worte und um ein bisschen Emotion.

Constanze von Bullion

Am Ende gibt es Blumen, und es regnet warme Worte, die sacht verschleiern, was da war. Ein geliebter Sohn ist für immer gegangen, sagt die Pastorin, ein fleißiger Baggerfahrer und guter Vater. Plötzlich weg, unbegreiflich, was man eben so sagt. "Ein solcher Tod muss uns alle berühren."

Das Grab von Bernd K. lässt kaum auf die schreckliche Tat schließen, die hinter seinem Tod steckt. (Foto: Foto: Getty Images)

Die Dame von der Kirche hätte im Konjunktiv sprechen sollen. Ein solcher Tod müsste alle berühren.

Templin in der Uckermark, das ist die Heimatstadt von Angela Merkel und eine schöne Kurstadt im Norden Brandenburgs, die seit Tagen um Worte ringt und um ein bisschen Emotion. Ein Bürger der Stadt ist brutal getötet worden, aber es ist nicht so, dass das Gemeinwesen übermäßig viel Anteilnahme zeigt.

37 Menschen sitzen am Freitag in einer Friedhofskapelle, um Bernd K. alias "Stippi" zu begraben. Zwei Töchter weinen um ihn, Verwandte sind gekommen, der Bürgermeister und der Polizeichef, der draußen mit dem Funkgerät hinterm Baum steht. Sicher ist sicher, sagt er, das hier ist ein Politikum. Der öffentliche Ansturm aber bleibt aus.

Trinker-Treff im Flachbau

Bernd K. alias "Stippi" bleibt auch im Tod am Rand, nach 55 Jahren und einem steilen Abstieg endet sein Leben in einem Gewaltexzess, wie Brandenburg ihn lange nicht erlebt hat.

Zwei Rechtsextremisten sollen ihn getötet haben, während nebenan Verwandte schliefen. Als man ihn fand, lag er auf dem Rücken, er war voll Dreck und Blut, die Spuren reichten bis zur Wand. Jemand soll ihn ins Gesicht getreten haben, bis der Schädel geborsten ist. Als er tot war, versuchte man ihn anzuzünden, auf seinem Bauch lagen verschmorte Plastikflaschen.

Eine Tat ist das, die aussieht, als sei da jemand ausgerastet, um dann stümperhaft, aber mit kühlem Kopf Spuren zu verwischen. Der Tote war ein stadtbekannter Alkoholiker, die mutmaßlichen Täter sind stadtbekannte Rechte.

Christian W. ist 21, hat eine "längere rechtsextremistische Karriere" und saß im Gefängnis, sagt die Neuruppiner Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper. Sven P. ist 18 und wegen "eindeutig rechter Straftaten" und Körperverletzung vorbestraft. Er soll auf das Opfer eingetreten haben, bis es tot war.

Haben zwei Neonazis einen Mann umgebracht, der als "Penner" galt und nicht in ihr Weltbild passte? Ein politisches Motiv ist denkbar, aber nicht erwiesen, heißt es, die Beschuldigten wollen nun nichts mehr sagen und sollen bei der Vernehmung nicht die geringste Regung gezeigt haben.

"Penner" passt nicht ins Weltbild

Das Rathaus von Templin ist ein nüchterner Backsteinbau, hier arbeitet seit 18 Jahren Bürgermeister Ulrich Schoeneich, ursprünglich ein Mann der Technik, jetzt ein Mann in Not. Nach der Tat hat er erklärt, er kenne keine rechte Szene in Templin, nur ein paar Spinner.

Man hat ihn gerüffelt, auch in der Landesregierung, da ist er zurückgerudert. Man habe ihn jetzt endlich informiert, er sei erschüttert, "es gab einzelne Personen mit über 40 Straftaten". Von Templin als rechtem Nest aber will er nichts hören, wegen der Kurgäste, und weil man Menschen nicht "in Schubladen" stecken sollte. "Es gibt rechts, es gibt links, es gibt schwarz, es gibt weiß. Es gibt welche, die sich verprügeln lassen." Ein Benefizkonzert hat er absagen lassen, die Stadt stehe noch zu sehr "unter Schock".

Wer in Templin nach Spuren der Erschütterung sucht, findet einen Ort, der sich zwischen Badeseen sonnt. Es gibt hier eine alte Stadtmauer, viele Touristen und malerische Fassaden, die davon erzählen, dass es bergauf geht. Es leben hier auch engagierte Leute wie Pfarrer Ralf-Günther Schein, der sich über die Zurückhaltung ärgert, mit der die Stadt auf die Tat reagiert. Es brodelt in diesem nachdenklichen Mann, das merkt man, und er hat spontan zu einer Andacht geladen, weil man so etwas, wie er sagt, "doch nicht so stehen lassen kann".

Weiter am Stadtrand, wo die Neubauriegel stehen und die Lebensverhältnisse ärmlicher werden, treibt die Wut Petra Lamm Tränen in die Augen, weil es jetzt wieder so aussieht, als sei in der Jugendarbeit gar nichts passiert. Sie leitet hier die Kinder-Öko-Insel und versucht, auch Eltern beizubringen, dass man reden kann miteinander und den Kindern mal zeigen, "dass sie was wert sind". Das hilft, sagt sie, "man kriegt hier schon was bewegt". Nur, dass man eben nicht alle erreicht.

Uwe Liem sitzt vor einem Flachbau im Wald, hier stand mal ein Störsender der Stasi. Liem sieht aus wie Rübezahl, mit Rauschebart und wilder Körperbemalung, insgesamt hat er mehr als 20 Jahre gesessen, jetzt lebt er hier mit obdachlosen Männern, denen der Alkohol den Geist und die Gesichter verwüstet.

Er tat keinem etwas zuleide

Auch "Stippi" hat hier getrunken, ein Kleiner mit rotem Bart, den sie "Rumpelstilzchen" nennen. Manchmal redet er wirr, häuft Müllberge an, zuleide tut er keinem was. "In keiner Weise gewalttätig", sagt Polizeichef Harald Löschke. "Ein friedlicher Patron", sagt Pfarrer Schein. "Der konnte kein totes Huhn von der Stange stoßen", sagt der Schwager des Toten. Wieso dann dieser Gewaltausbruch? Er zuckt die Schultern. "Kann ich doch nix dafür."

Es sind da wohl manche Gefühle erkaltet zwischen Bernd K. alias "Stippi" und seinen sieben Geschwistern, die erleben, wie ihm die Liebe seiner Frau abhanden kommt, die Arbeit und der Mut zu kämpfen. Er hat zwei halb erwachsene Kinder und ein Haus, aber immer öfter schläft er in einer gammeligen Böttcherwerkstatt in Templin, die er von seinem Vater geerbt hat.

Es gibt da weder Strom noch Wasser, also kocht er auf offener Flamme, bis die Feuerwehr kommt. Die Verwandten nebenan haben jetzt genug, es gibt Streit wegen seiner alten Maschinen, die ein Neffe verscherbelt. Mit dem Erlös hat er das Dach gedeckt, sagt der Neffe. "Stippi" fühlt sich ausgeplündert.

Wenn einer mal fällt, dann fällt er schnell, aber bleibt nicht unbedingt allein. "Stippi" sucht sich eine neue Familie, und er ist nicht wählerisch. Am Abend vor seinem Tod trinkt er mit Christian W., einem schmalen Kerl mit reizbarem Gemüt, der wie andere junge Rechte im Obdachlosenheim verkehrt. Die Rechten wollen keine "Penner" sein und die "Penner" keine Rechten, beim Bier aber findet man zusammen.

Ein grausamer Anblick

Christian W., Sohn eines arbeitslosen Fleischers, hat früh geklaut und Keller angezündet, wenn er trinkt, schlägt er schnell zu, heißt es bei der Polizei. Zweimal wird er wegen Zeigens verfassungswidriger Kennzeichen straffällig, sagt die Staatsanwältin, er landet wegen Körperverletzung und Brandstiftung in Haft. Es sieht nicht aus, als hätte ihn das beeindruckt. In der Nacht vor der Tat streitet er mit einem Obdachlosen, dann latscht er mit "Stippi" in die Stadt.

Wenn stimmt, was der Rübezahl Uwe Liem erzählt, und die Ermittler glauben ihm, ist "Stippi" tot, als er ihn findet. Gegen halb fünf Uhr morgens geht Liem Pfandflaschen suchen, er braucht Geld und Sprit. Weil "Stippis" Schuppen offensteht, geht er rein, macht Licht mit dem Feuerzeug, sieht ihn liegen. Er ist so zugerichtet, dass Uwe Liem sich übergibt.

Netzow bei Templin ist ein Dorf in einer romantischen Seenlandschaft, und man erreicht es über einsame Landstraßen und Alleen. Vor dem Neubau, in dem Steffi P. zu Hause ist, torkeln die Menschen schon morgens oder hocken mit erloschenem Blick am Fenster. Es sind jetzt viele weg hier, und wer bleibt, wird eben woanders nicht gebraucht.

Steffi P. gehört zu den letzten Frauen im Dorf, sie ist 25, hat eine Sprachheilschule besucht und redet schon viel besser als früher. Einen Job als Gärtnerin gibt man ihr nicht, also wartet sie mit Freund und Tochter auf bessere Zeiten, und wenn man sie fragt, was sie so macht, sagt sie: "Nüscht. Garten. Kaffeetrinken."

Steffi P. ist hier aufgewachsen, mit ihrem kleinen Bruder Sven, der jetzt als Mörder verdächtigt wird. Der 18-Jährige ist ein langer Schlaks, der den kleinen "Stippi" totgetrampelt haben soll. Außer sich und fast so, als wollte er vernichten, was er selbst zu werden drohte. Steffi P. will das nicht glauben, aber sie hat gelesen, was die Freundin von Christian W. Bild anvertraut hat.

Getrunken, gestritten

Wenn das stimmt, dann haben Sven P. und Christian W. ihr um vier Uhr morgens beschrieben, wie sie mit "Stippi" getrunken haben, wie Streit ausbricht und Christian W. ihm ins Gesicht schlägt. Er fällt um, Sven P. tritt, bis er tot ist. Später soll er zurückgegangen sein, um ihn anzuzünden. Ob das so war, weiß keiner, die Anwälte der Beschuldigten wollen sich nicht zu der Sache äußern.

Christian W. jedenfalls hat der Polizei wohl so was Ähnliches erzählt wie seine Freundin, jetzt ermittelt man gegen ihn wegen Totschlags, gegen Sven P. dagegen wegen Mordes. Ob es DNS-Spuren gibt, die diesen Tathergang belegen, verraten die Ermittler nicht. Die Freundin von Christian W. soll, statt die Polizei zu rufen, erst mal die Kleider der beiden Jungs gewaschen haben.

Steffi P., die Schwester des Hauptbeschuldigten, sitzt jetzt zusammengefaltet an der Kante eines Sessels. Sie hofft, "dass man keine Hautpartikel an dem Sven seine Schuhe gefunden hat". Kann doch sein, sagt sie, dass dieser Christian W. sich rächen will an ihrem Bruder, der mal gegen ihn ausgesagt haben soll. Angeblich, sicher ist sie da nicht.

Überhaupt weiß diese junge Frau erstaunlich wenig von ihrem Bruder, der immer blass war, still, einer mit Brille, der zweimal durchfällt, bevor er die Schule abbricht. Er kriegt eine "Maßnahme" vom Amt, jobbt als Anstreicher. Vor vier Jahren stirbt der Vater, da verstummt er fast, frisst alles in sich hinein, erzählt die Schwester, "der redet jetzt gar nicht mehr mit uns". Und die Mutter? "Die redet auch nicht. Die möchte von ihm nichts mehr wissen." Es hat wohl keiner in der Familie versucht, Sven P. zu besuchen und zu fragen, was war.

Pöbeln, drohen, schlagen

Was bleibt, sind Akten, und sie sind nicht geeignet, Sympathie für den Hauptverdächtigen zu wecken. Im Oktober 2007, als junge Männer in Templin "Sieg Heil" brüllen, tritt Sven P. einem Polizisten in den Unterleib. Er kriegt vier Wochen Jugendarrest, wenig später stellt sich heraus, dass er Anfang Juni einen Mann mit einem Teleskopstab geschlagen und als "Juden" beschimpft hat.

Man verurteilt ihn zu sechs Monaten Jugendhaft auf Bewährung. Es kommt immer mehr ans Licht. Mitte Juni 2007 grölen rechte Kameraden auf einem Parkplatz "Scheißneger, verpiss dich aus Deutschland". Gemeint ist Philip Perera, ein Gymnasiast, dessen Vater aus Sri Lanka stammt. Er ist hier der Einzige mit dunkler Haut, und als man ihn angreift, schlägt er zurück.

Sven P. gilt als tatverdächtig, aber da er schon verurteilt ist, wird der Übergriff nicht verfolgt. Im Oktober belagern mehr als 30 Rechte den Pub, in dem Perera arbeitet, er flieht im Auto. Rassismus, blöde Sprüche, "das ist Alltag für mich", erklärt er betont gelassen. Er geht jetzt ins Fitnessstudio, anzeigen will er die Neonazis nicht. Wir wissen, wo du wohnst, haben sie ihm gesagt. Er lässt sich nicht zum Opfer machen, sagt Perera.

Als Bernd K. alias"Stippi" begraben wird, da fällt kein böses Wort, und die Pastorin erspart sich alle Fragen nach der Gewalt, dem Schweigen, der Gleichgültigkeit. Zwei Männer mit Handschuhen tragen die Urne weg und versenken sie vor einem blankpolierten Stein. "Bitte die Anlage nicht betreten!", steht auf einem Schild, das im Grab steckt. In Templin soll wieder Ordnung einkehren.

© SZ vom 4.8.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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