Rechtsextremismus unter Schülern:Die größte Jugendbewegung

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Eine neue Studie zeigt: Neonazis haben mehr Zulauf als alle anderen Jugendorganisationen zusammen.

Berlin

Wenn sich Jugendliche sozial oder politisch engagieren, dann gehen sie zu den Jusos, der Jungen Union, zum Roten Kreuz oder in die Freiwillige Feuerwehr. Dass es daneben auch noch junge Menschen gibt, die sich bei den Rechten wohler fühlen, galt bisher als überschaubares Phänomen.

Vier junge Frauen vor einer Schautafel der Ausstellung "Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus" in der Celler CD-Kaserne. (Foto: Foto: dpa)

Ein neue Studie aber, die an diesem Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, hat mit diesem idyllischen Bild gründlich aufgeräumt. Die Lage ist schwärzer als gedacht.

53.000 Jugendliche der vierten und neunten Jahrgangstufe hat das Team des Psychologen Christian Pfeiffer an 2000 zufällig ausgewählten Schulen in Deutschland im Schuljahr 2007/2008 befragt. Damit hatten Pfeiffer und sein Team an dem von ihm geleiteten Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen die bisher größte europäische Studie zu Jugendgewalt zu betreuen.

Die Ergebnisse seien - alles in allem - positiv, weiß Pfeiffer zu berichten. Die Jugendkriminalität gehe zurück, Jugendgewalt nehme ab, Gewalt werde von den Jugendlichen immer weniger akzeptiert. Das liege an der guten Präventionsarbeit der vergangenen Jahre, sagt Pfeiffer. Die Polizei sei präsenter in den Schulen, die Bereitschaft für das Erstatten einer Anzeige sei gestiegen und auf den Schulhöfen seien Konflitktlotsen etabliert. Es gebe zunehmend eine "Kultur des Hinsehens".

Also alles in Ordnung? Mitnichten. Ein Problem scheint völlig aus dem Ruder zu laufen: Fremdenfeindlichkeit.

Wenn Experte Pfeiffer nicht falsch gerechnet hat, dann betrachten sich 4,9 Prozent aller männlichen Jugendlichen einer rechtsradikalen Gruppe zugehörig. Auf die gleiche Zahl kommt der Wissenschaftler in der vom Bundesinnenministerium finanzierten Studie, wenn alle Jugendlichen zusammengezählt werden, die sich bei Jusos, Jungliberalen, beim DRK oder dem Technischen Hilfswerk engagieren. Rechtsradikalismus ist demnach die größte Jugendbewegung in Deutschland.

Schäuble: "Anlass, die Bemühungen zu intensivieren"

Damit hat wohl auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht gerechnet. Er zeigte sich "erschrocken", dass die Zahl der Anhänger rechtsradikaler Gruppen so hoch sei. Dies sei "Anlass, die Bemühungen zu intensivieren", sagte Schäuble. Viel mehr wusste er im Moment nicht dazu zu sagen.

Pfeiffers Team hatte speziell nach der Zugehörigkeit zu einer rechten "Kameradschaft" gefragt und die Frage abgesichert mit Fragen nach der Einstellung der Jugendlichen gegenüber Ausländern. Allerdings sei bei herkömmlichen Gruppierungen die Hemmschwelle einer Mitgliedschaft auch deutlich höher, räumte Pfeiffer ein. Beim DRK oder bei den Jusos müssten in der Regel Mitgliedschaften per Unterschrift besiegelt werden und auch ein monatlicher Beitrag sei fällig. Rechtsradikale Kameradschaften seien wesentlich unverbindlicher organisiert.

Dennoch bleibt: Hunderttausende männliche Jugendliche in Deutschland haben sich offenbar rechtem Gedankengut verschrieben. Mädchen sind davor zwar nicht gefeit, sie lassen sich aber wesentlich seltener von den Rechten ansprechen.

Bildung verringert die Gefahr, in rechtsradikale Kreise zu geraten

Die Zahlen sind regional höchst unterschiedlich. Vor allem im Süden und im Osten Deutschlands haben die Menschenfänger von rechts Erfolg. Mit 6,4 Prozent der männlichen Jugendlichen ist die Zahl im Osten besonders hoch; im Süden liegt sie bei 5,7. Der Westen folgt mit 4,3, der Norden mit 2,9 Prozent.

Hoffnung macht Pfeiffer, dass es auch im Osten und im Süden vereinzelt Regionen gibt, in denen es wenige bis gar keine Anhänger der Rechten gibt. Warum das so ist, weiß er noch nicht zu erklären. "Womöglich wird hier sehr viel für Prävention getan." Es könne auch sein, dass die Rechten hier keine Strukturen aufgebaut hätten. Es zeige aber aber, dass Rechtsextremismus bekämpft werden könne - vor allem über Bildung.

Mit höherer Bildung würden zudem alle anderen Faktoren an den Rand gedrängt, die Jugendliche in die Hände von Rechtsradikalen führen können: verstärkter Alkoholkonsum, ausgeprägtes Machoverhalten, geringe Selbstkontrolle. Erwartbar sind deshalb die Unterschiede zwischen den Schulformen. Je höher der angestrebte Abschluss, desto geringer die Gefahr, in rechtsradikale Kreise zu geraten.

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