Rechtsextremismus:Trauriger Rekord

Lesezeit: 3 min

Die Zahl der rechtsextremen Straftaten hat im vergangenen Jahr offenbar ein neues Höchstmaß erreicht. Bundesweit wurden bis November über 11.000 Delikte registriert.

Gegen 4 Uhr am vergangenen Sonntagmorgen in Spandau wurde der aus Nigeria stammende Zeitungsausträger mit einer Biergflasche beworfen. Drei Männer im Alter zwischen 17 und 19 Jahren beschimpften ihn mit fremdenfeindlichen Parolen.

Bundesweit hat die Polizei von Januar bis November nach vorläufigen Zahlen 11254 rechte Straftaten registriert. (Foto: Foto: ddp)

Der dunkelhäutige Bote konnte ausweichen. Anschließend stießen die drei den Zeitungswagen um und verteilten mehrere Bündel in der Umgebung. Als einer der Männer versuchte, ihn ins Gesicht zu schlagen, rannte er davon und rief mit seinem Handy die Polizei.

Die bei der Polizei bereits einschlägig bekannten Jugendlichen konnten wenig später festgenommen werden. Sie hatten einen Totschläger und eine CD mit rechtsextremem Inhalt dabei.

Eine Geschichte, wie sie im vergangenen Jahr immer wieder vorkam.Deutschland steuert bei der rechtsextremen Kriminalität offenbar auf einen neuen traurigen Rekord zu. Bundesweit hat die Polizei von Januar bis November nach vorläufigen Zahlen 11254 rechte Straftaten registriert, wie der "Tagesspiegel" in seiner Freitags-Ausgabe berichtete.

Experten gehen davon aus, dass 2006 so viele rechtsextremistische Delikte registriert wurden wie seit 2001 nicht mehr. 2001 wurde ein neues System zur Erfassung politisch motivierter Gewalt eingeführt.

Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen

Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei/PDS) mitteilte, wurden im November bundesweit insgesamt 1100 rechte Straftaten gemeldet - mehr waren es im vergangenen Jahr nur in den Monaten Mai, Juni und Oktober.

Darunter waren 64 Gewalttaten und 781 Propagandadelikte, wie es in der dem "Tagesspiegel" vorliegenden Bilanz weiter heißt. Bei 180 Straftaten, darunter 46 Propagandadelikten und 33 Gewalttaten, sei ein fremdenfeindlicher Hintergrund festgestellt worden. 45 Verletzte wurden verzeichnet.

Die meisten rechten Straftaten im November wurden in Nordrhein-Westfalen verzeichnet (176), schon auf Platz zwei folgt Berlin mit 164 Straftaten, noch vor Niedersachsen (148), Sachsen (116) und Bayern (97).

Im Gegensatz zum bundesweiten Trend ist die rechtsmotivierte Kriminalität in Brandenburg leicht zurückgegangen. 1108 Straftaten wurden von Januar bis November 2006 registriert, wie das Innenministerium am Freitag der dpa mitteilte. 2005 seien es dort 1131 Delikte gewesen. Dies war den Angaben zufolge allerdings der höchste Wert seit 2001.

Die Regierung weist wie immer darauf hin, dass die Statistik noch nicht abschließend sei, sondern sich aufgrund von Nachmeldungen noch und teilweise erheblich verändern könne. Nach Angaben des Innenministeriums habe es 2006 im Vergleich zu den Vorjahren auch mehr rechtsextreme Demonstrationen gegeben. Die Zahl rechter Gewalttaten sei dagegen weniger stark angestiegen.

Annen fordert Demokratiegipfel

SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen nannte die Zahlen im Onlineportal tagesschau.de mehr als erschreckend. Es werde langsam zur traurigen Routine, diese zu kommentieren, sagte er. Als Konsequenz forderte Annen einen Demokratiegipfel. Dieser solle ein echtes Zeichen gegen die rechtsextremen Straftaten setzen.

Petra Pau (PDS) sagte dem Online-Dienst tagesschau.de, besonders erschreckend sei die hohe Zahl der Gewalttaten. Durchschnittlich gebe es täglich 2,5 Übergriffe in Deutschland - und dementsprechend viele Opfer. Sie forderte eine parteiübergreifende Strategie gegen den Rechtsextremismus.

Die Rechtsextremismus-Expertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Monika Lazar, unterstützte Paus Forderung. FDP-Innenexperte Max Stadler sagte: "Die ansteigenden Zahlen rechtsextremer Straftaten zeigen, dass mit allen Mitteln des Polizei- und Strafrechts dagegen vorgegangen werden muss."

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte unterdessen deutlich, dass er sich insbesondere für die neuen Länder eine größere Integrationskraft der Union gegenüber dem rechten Rand erhoffe. Er unterstrich, es sei "ein besonderes parteipolitisches Problem für die Union, wenn eine rechtsextreme Partei bei Wahlen erfolgreich ist".

Autonome Nazis

Zu einem neuen Problem scheinen neue rechtsextremistische Gruppen zu werden, die sich äußerlich kaum von linken Autonomen unterscheiden.

Wie die "Frankfurter Rundschau" berichtete, spreche das Bundesamt für Verfassungsschutz von einem ernstzunehmenden Phänomen. Die Behörde warne vor einer jüngeren Generation von Neonazis, die oftmals ein aggressives und militantes Verhalten zeigten.

Die "Autonomen Nationalisten" bilden seit einiger Zeit so genannte "schwarze Blöcke" bei Demonstrationen und sind immer bereit, gewaltsam gegen Polizisten oder Gegendemonstranten vorzugehen.

Nach Kenntnissen des Verfassungsschutzes seien derartige Gruppen bislang vor allem in Berlin, München und dem Ruhrgebiet aufgetaucht. Sie selbst sähen sich als "linke" Nationalsozialisten, die "rückwärtsgewandte Deutschtümelei" ablehnen. Dem Innenministerium Nordrhein-Westfalens sind rund 40 Personen bekannt, die der Gruppe zugerechnet werden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: