Rechte der Opposition:Schweigen verboten

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Die Regierung muss Fragen der Opposition beantworten. Das hat Karlsruhe entschieden und damit den Grünen recht gegeben. Hans-Christian Ströbele jedoch hätte sich dieses Urteil früher gewünscht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Opposition kann die Regierung zwingen, vor dem Parlament auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. (Foto: John MacDougal/AFP)

Als die Verkündung des 121-Seiten-Urteils zu Ende war, hatten sich auch die letzten Zweifel zerstreut. Die Grünen hatten ihre Organklage zu beinahe hundert Prozent gewonnen. Das mitunter wortreiche Schweigen der Bundesregierung auf ihre "Kleinen Anfragen" zu Bahnprojekten und Bankenaufsicht war verfassungswidrig. Bei einem der Sieger, die nun im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts ihre Genugtuung in die Mikrofone sprachen, mischte sich freilich ein Tropfen Wehmut ins Triumphgefühl. Hans-Christian Ströbele, der soeben aus dem Bundestag ausgeschiedene Altmeister der kunstvoll gedrechselten Anfrage, hätte sich so ein Urteil bereits vor einigen Jahren gewünscht: "Dann wären viele meiner Anfragen ganz anders beantwortet worden."

Das Wort "Geschäftsgeheimnis" hat im Zusammenhang mit der Bahn nur begrenzte Wirkung

Zusammen mit einigen Fraktionskollegen hatte der Grünen-Politiker im Jahr 2010 mehrere Anfragen an die Bundesregierung geschickt. Erstens ging es um die Folgen der damals noch kaum verrauchten Finanzkrise des Jahres 2008. Die Parlamentarier wollten wissen, ob ausreichend Vorsorge für solche Krisen getroffen worden war und erkundigten sich nach den Prüfungen der Banken durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) in den Jahren vor 2008. Auch zu Bonuszahlungen an Manager staatlich gestützter Banken baten sie um Informationen. Der zweite Komplex betraf die Deutsche Bahn. Man fragte nach Investitionen ins Schienennetz, nach einer Wirtschaftlichkeitsberechnung zum Projekt Stuttgart 21, nach dem Umfang von Zugverspätungen. Doch die Regierung blieb wortkarg: Die Finanzmärkte seien nervös und die Deutsche Bahn eine Aktiengesellschaft mit geschützten Geschäftsgeheimnissen - da bitte man um Verständnis, dass detaillierte Auskünfte nicht möglich seien.

Nun hat eben Karlsruhe den Grünen eine Antwort gegeben. Sie lautet: Die Auskunftsverweigerung der Regierung war in fast allen Punkten verfassungswidrig.

In einem Grundsatzurteil hat der Zweite Senat klargestellt, dass eine Regierung den Abgeordneten grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet ist. Die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirkliche den Grundsatz der Gewaltenteilung, und ohne Teilhabe am meist überlegenen Regierungswissen laufe diese Kontrolle nun mal ins Leere. In dieser Allgemeinheit ist das zwar nicht neu, das Gericht hat die Auskunftsrechte des Parlaments - besser gesagt: der Opposition - ein ums andere Mal gestärkt. Präsident Andreas Voßkuhle erinnerte an eine ganze Reihe von Entscheidungen aus jüngerer Zeit zu Anfragen über Nachrichtendienste, Rüstungsexporte und den Einsatz der Bundespolizei. Doch in einer Zeit, in der auch in demokratischen Regierungen die unverhohlene Lüge als politisches Kampfinstrument eingesetzt wird, ist so ein Urteil ein starkes Bekenntnis zur Wahrheitspflicht; geniale Regie des Zufalls, dass es zum Jahrestag der Wahl Donald Trumps verkündet wurde. Oppositionsfraktionen können die Regierung zwingen, unangenehme Wahrheiten selbst auszusprechen - eine Grundbedingung der Demokratie. "Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus", sagte Voßkuhle.

In einem bisher umstrittenen Punkt sorgt das Urteil nun für Klarheit: Dass die Deutsche Bahn als Aktiengesellschaft firmiert, entlässt ihren Eigentümer namens Bundesrepublik Deutschland nicht aus der Verantwortung. Die Regierung muss mithin grundsätzlich Auskunft über die Verhältnisse bei der Bahn geben; dem Schweigen sind enge Grenzen gesetzt - das Zauberwort "Geschäftsgeheimnis" hat nur begrenzte Wirkung, wenn ein Unternehmen ganz mehrheitlich dem Staat gehört. Denn auf Grundrechte kann sich eine vom Staat beherrschte Gesellschaft dem Urteil zufolge nicht berufen. Das ist nicht nur für die Bahn wichtig, sondern überall dort, wo der Staat seine Aufgaben mithilfe privatrechtlicher Wirtschaftsunternehmen erfüllt. "Der Staat kann seine Auskunftspflicht nicht wegorganisieren", kommentierte der Rechtsprofessor Christoph Möllers, der die Grünen vertreten hatte. Gleiches gilt für nachgeordnete Behörden wie die Bafin; auch über deren Gebaren muss die Regierung Auskunft erteilen.

Entscheidend ist dabei das Prinzip Öffentlichkeit: Sie ist es aus Sicht der Richter, die aus der Anfrage ein scharfes Schwert macht. Gewiss, die Regierung dürfe hier und da diskret sein, etwa bei der Bahn, bei der es ja auch um eigene fiskalische Interessen des Bundes gehe, oder bei der Bankenrettung, wo Steuergeld im Spiel sei. Wenn irgend möglich, müssten Regierungsauskünfte aber öffentlich sein - nur dann entfalte die Kontrolle der Regierung ihre Wirkung. "Fällt das Öffentlichkeitselement weg, so scheidet in der Praxis zumindest eine sanktionierende Kontrolle aus."

In der Praxis sind seit 2005 übrigens weit mehr als 10 000 solcher Anfragen gestellt worden, annähernd so viel wie in den fünfeinhalb Jahrzehnten davor. Hans-Christian Ströbele ist nun allerdings im Ruhestand - und die Grünen sind demnächst wahrscheinlich in der Regierung.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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