Reaktionen auf Unterschichten-Debatte:"Es ist zynisch, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen"

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Eine neue Studie stellt fest: 6,5 Millionen Deutsche zählen zu einer Art Unterschicht. Prekär wird es nun für die SPD: Intern gibt es einen Streit um die Richtigkeit von Hartz IV, die auch ein neuer Krisenherd der großen Koalition werden könnte.

Die SPD-Spitze will die von Parteichef Kurt Beck ausgelöste Debatte über soziale Unterschichten offensiv führen. "Wir erkennen die Realitäten an. Wir wollen aber zeigen, dass wir uns damit nicht abfinden", sagte Generalsekretär Hubertus Heil am Montag nach Beratungen des SPD-Präsidiums in Berlin. Es sei höchste Zeit, dass sich die gesamte Gesellschaft damit auseinandersetze. Dies sei einhellige Ansicht in der Führung, betonte er nach einer Telefonkonferenz.

Schon 2003/2004 gab es heftige Demonstrationen gegen die Hartz IV-Gesetze. Jetzt kocht die Debatte wieder hoch. (Foto: Foto: AP)

Heil widersprach Vorwürfen aus Reihen der SPD-Linken, wonach die Arbeitsmarktgesetze der alten rot-grünen Bundesregierung für die Fehlentwicklungen verantwortlich seien. Das Gegenteil sei der Fall. Mit den Hartz-Gesetzen sei vielmehr der Blick auf notwendige soziale Reformen erst geöffnet worden.

Nach Heils Worten wird sich die SPD-Spitze in der weiteren Auseinandersetzung den Begriff "Unterschicht" aber nicht zu eigen machen. Kein Bevölkerungsteil dürfe stigmatisiert werden. Im politischen Sprachgebrauch solle besser von "neuer Armut" oder "neuer sozialer Frage" die Rede sein.

Er begrüßte, dass auch in der Union die Debatte darüber begonnen habe. "Zynisch" sei es jedoch, dass in Teilen von CDU/CSU der Druck auf Arbeitslose immer weiter erhöht werden solle.

Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hatte ergeben, dass insgesamt acht Prozent der Deutschen (vier im Westen, 25 Prozent im Osten) ein niedriges Einkommen knapp über der Armutsgrenze, kaum finanzielle Rücklagen, vor allem aber keine Hoffnung mehr auf einen sozialen Aufstieg haben. Die Wissenschaftler von TMS Infratest, die die Studie durchführte, sprechen vom "abgehängten Prekariat".

Beck: "Der vorsorgende Sozialstaat ist gefragt"

"Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hatte am Sonntag den Anstoß für die jetzt entbrannte Debatte über eine neue Unterschicht in Deutschland geliefert. Beck: "Deutschland hat ein zunehmendes Problem. Manche nennen es 'Unterschichten-Problem'," sagte der Sozialdemokrat der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Die Gesellschaft habe an Durchlässigkeit verloren. "Es gibt viel zu viele Menschen in Deutschland, die keinerlei Hoffnung mehr haben, den Aufstieg zu schaffen", so Beck. Früher habe es in armen Familien noch das Bestreben gegeben, die eigenen Kinder sollten es einmal besser haben. Diese Haltung könne er heute nicht mehr erkennen, sagte Beck.

Linker SPD-Flügel greift Hartz IV-Reformen an

Diese Befunde schürten in der SPD die Diskussion um die sozialdemokratische Sozialpolitik der letzten Jahre. So bezeichnete der stellvertretende SPD-Fraktionschef Stefan Hilsberg die Hartz-IV-Politik der rot-grünen Bundesregierung als eine "Lebenslüge". "Wir haben den Menschen vorgegaukelt, dass mit Fordern und Fördern jeder den ersten Arbeitsmarkt erreichen kann und Steuersenkungen für die Unternehmen die Probleme lösen werden", sagte Hilsberg dem Berliner Tagesspiegel. Für Millionen Menschen sei das jedoch nicht die Realität. "Gerhard Schröder hat zu kurz gedacht."

Auch der SPD-Linke Ottmar Schreiner wirft dem früheren Kanzler Schröder eine Mitschuld an dem Problem vor. Besonders Mini- und Ein- Euro-Jobs sowie befristeten Arbeitsverhältnissen hätten dazu geführt, dass "Millionen Menschen keine Chance mehr haben, aus dem Niedriglohnsektor mit seinen Hungerlöhnen herauszufinden".

Dagegen ging Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken, zu Schreiner auf Distanz. "Es gab ein gemischtes Bild in der rot-grünen Regierungszeit", sagte er der Zeitung. Die Schröder-Regierung habe sich schließlich mit dem ersten Armutsbericht diesem Thema gestellt. Die Bildungsförderung etwa durch das Ganztagsschulprogramm habe die Chancengleichheit verbessert.

Union: Hartz IV kann nicht alle Probleme lösen

Die "Hartz"-Reformen seien besser als ihr Ruf. "Für viele, die zuvor in der Sozialhilfe waren, gibt es durch 'Hartz IV' eine Besserstellung", sagte Rossmann. Gleichwohl sei das Ergebnis der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ein Alarmruf.

Auch in der CDU gibt es Stimmen zur Verteidigung von Hartz IV. So unterstützt der CDU-Sozialpolitiker Ralf Brauksiepe die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und verweist darauf, dass in diesem Jahr trotz sinkender Arbeitslosigkeit rund zwei Milliarden Euro mehr für Leistungen im Rahmen von Hartz IV ausgegeben würden als 2005. "Aber Hartz IV kann natürlich nicht alle Probleme lösen."

Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion nannte die Ergebnisse einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über eine so genannte neue gesellschaftliche Unterschicht "erschreckend". Dem sei mir mit besserer Bildung und mehr Arbeitsplätzen zu begegnen. "Wir dürfen die Menschen nicht aufgeben. Wir müssen von Anfang an die Menschen fördern, über das Bildungssystem, und am Ende führt der Weg über Arbeit."

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