Ratzinger ist Papst Benedikt XVI.: "Er wird uns noch alle überraschen":Die Entdeckung der Leichtigkeit

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Unerwartet entspannt zelebriert der neue Papst seine erste Messe. Und die Welt staunt über Kardinäle, die Anekdoten aus dem Allerheiligsten zum Besten geben.

Von Christiane Kohl

Es weht ein kalter Wind in Rom, kein Wetter für Touristen und schon gar nicht für Römer. Sie scheinen denn auch zu Hause geblieben zu sein an diesem Tag Eins des Pontifikats von Benedikt XVI., der mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger heißt.

Kardinal Ratzinger wirkt als Papst Benedikt XVI. überraschend entspannt. (Foto: Foto: dpa)

Schon frühmorgens hat er sich in die Sixtinische Kapelle begeben, beim Einzug der Kardinäle trägt er die päpstliche Mitra auf dem Kopf, und seine Schultern umhüllt ein hellgelber Talar der Freude.

Ratzingers Bewegungen aber wirken unprätentiös, er scheint als einer unter vielen in das prachtvolle Gotteshaus einzuziehen. Draußen ist die riesige Pflasterfläche des Petersplatzes, wo sich am Abend zuvor noch mehr als 100.000 Menschen drängten, wie leer gefegt.

Geistlicher ohne Allüren

Nur vor den beiden großen Bildschirmen, die rechts und links der Petersbasilika stehen, hat sich ein Grüppchen versammelt. Einige Priester verfolgen hier konzentriert den Gang des Gottesdienstes. Sie sind wohl die Einzigen, die den neuen Papst in diesem Moment verstehen können - denn Ratzinger zelebriert auf Lateinisch.

Indes ist dem Mann in der Kapelle anzusehen, dass ihn nicht intellektueller Hochmut antreibt, sondern der Wille zur Klarheit. Schmächtig, fast zart, wirkt der Papst, wie er da unter dem gewaltigen Gemälde von Michelangelo steht. Er hebt einen jener prachtvollen Kelche hoch, in dessen glitzernden Steinen sich die Macht einer jahrhundertealten Kirchentradition zu spiegeln scheint.

Der Kelch dürfte einiges Gewicht haben, doch Ratzinger hält ihn auf leichte, fast könnte man sagen lässige Art. Kein Zweifel: Hier steht einer, der jede Bewegung der Heiligen Messe in konzentrierter Vollendung zu zelebrieren weiß. Und der doch zugleich ein Geistlicher ohne Allüren ist, ein Apologet der Bescheidenheit.

Tränen im Konklave

"Er ist einer von uns", hat der Kölner Kardinal Joachim Meisner wenige Stunden nach der Wahl gesagt. Und sein Münchner Kollege Friedrich Wetter fügte hinzu: "Ratzinger ist kein deutscher Papst, er ist ein Papst der Heiligen Römischen Kirche, der aus Deutschland kommt." Dass er nach so vielen Jahren im Vatikan dort schon praktisch als Italiener angesehen wird, hat wohl mit den Ausschlag gegeben für seine Wahl.

Natürlich hören die Italiener seinen "nordischen Akzent", wie sie es nennen, in der zuweilen etwas zittrigen Stimme.

Doch selbst einfache Römer haben den Mann mit dem schlohweißen Haar und der etwas abgegriffenen schwarzen Aktentasche, der bislang in einer Wohnung schräg gegenüber der Vatikanmauern wohnte, schon so oft frühmorgens wie Tausende andere quer über den Petersplatz zur Arbeit gehen sehen, dass auch sie ihn für einen der ihren halten können.

Der Rauch über der Sixtinische Kapelle ließ zwei Tage lang Gläubige in aller Welt den Atem anhalten. (Foto: Foto: dpa)

Geheult vor Rührung

Italienische Vatikanexperten tun sich richtig schwer, Ratzinger, mit dem sie so oft auf den Gassen rund um den Kirchenstaat einen Plausch gehalten haben, nun plötzlich als Papst zu titulieren.

In der Abgeschlossenheit des Konklaves hätten Fragen der Nationalität "überhaupt keine Rolle gespielt", gibt Kardinal Karl Lehmann nach der Wahl zum Besten. Vielmehr sei "ein Gefühl der Universalität" in dem mit herrlichen Fresken ausgemalten Gottesraumspürbar gewesen.

"Es war ein Gefühl der Freude", fällt ihm ein anderer Kardinal ins Wort. Und vom Moment der Wahl erzählt Wetter plötzlich offenherzig: "Ich habe mein Gesicht verhüllt, ich hab' geheult vor Rührung. Und ich war nicht der Einzige." Als Wetter das sagt, ist die Wahl gerade ein paar Stunden her.

Der Papst ist tot, es lebe der Papst

Im Konferenzraum des deutschen Priesterseminars im Vatikan das hinter dem "Campo Santo Teutonico" steht, dem berühmten deutschen Friedhof zu Füßen des Petersdoms, haben sich die deutschen Kardinäle zu einer spontanen Pressekonferenz eingefunden - so beschwingt wie in diesem Moment hat man die Herren Geistlichen wohl noch selten gesehen.

Munter plaudern sie ihre kleinen Anekdoten aus dem Allerheiligsten aus, dabei sollte über das Konklave nach der von Johannes Paul II. erlassenen Konstitution im Leben nichts nach draußen dringen.

Keiner der Konklaveteilnehmer dürfe später etwas darüber erzählen, hatte Johannes Paul II. verfügt, "und zwar auf ewig". Doch der Papst ist tot, es lebe der Papst - und die Kardinäle fühlen sich so frei und fröhlich, dass sie einfach erzählen.

Kritzelnde Kardinäle

Schon nach den ersten Wahlgängen habe es sich in der Sixtinischen Kapelle "dynamisch auf den neuen Papst zu bewegt", berichtet Kardinal Walter Kasper. Und Ratzinger selbst sei "sehr gefasst, sehr gelassen, aber auch sehr bestimmt gewesen".

Das Prozedere der Wahlen erläutert Kardinal Meisner durchaus detailliert. Da waren zunächst die kleinen Zettel gewesen, auf die ein jeder den Namen seiner Wahl zu schreiben hatte. Nachdem sie in die silbernen Urnen gesteckt worden waren, wurden die Zettel insgesamt auf Vollständigkeit einmal durchgezählt.

Dann rief der Zeremonienmeister die gewählten Namen einzeln auf. Unterdessen hatten die Kardinäle vor sich weiße DIN-A-4-Blätter liegen, auf denen die Namen der Kandidaten gedruckt waren - "jeweils mit Platz dahinter, so dass man sich gut eine Strichliste machen konnte", erklärt Meisner. Und so saßen die Kirchenfürsten dann wie Schüler an den Tischen und kritzelten Strichlein aufs Papier.

Probleme mit dem Ofen

Schon beim ersten Wahlgang hatte Ratzinger ganz offenbar einen erheblichen Stimmenanteil bekommen. Der vergrößerte sich bei den weiteren Wahlgängen noch, und so dürfte drinnen in der Kapelle schon am Dienstagmittag klar gewesen sein, wer der neue Papst werden würde - noch aber, vor dem Mittagessen, sandten die Kardinäle nur schwarzen Rauch zum Himmel.

Rauchwolken, die freilich immer wieder riesige Aufregung unter den Anwesenden auf dem Petersplatz und den Fernsehzuschauern verursacht hatten, denn zunächst schien der Qualm eigentlich stets eher weißlich zu sein. Auch dieses Geheimnis ist nun geklärt: Es hatte zunächst Schwierigkeiten gegeben, den alten Kanonenofen, der noch aus der Vorkriegszeit stammt, überhaupt anzuheizen - deshalb sah der Qualm immer genau so aus.

Als man dann schließlich beim vierten und entscheidenden Wahlgang war, saßen die Kardinäle wiederum vor ihren Strichlisten. Und so erkannten alle sofort den Moment, da für Ratzinger die Zahl 77 erreicht war, die Zweidrittelmehrheit unter den 115 Kardinälen.

Angst vorm Amt

Spontan begannen sie zu klatschen und erhoben sich, beinahe wäre gar nicht mehr weiter gezählt worden, berichtet Meisner. Dann freilich fuhr der Zeremonienmeister doch noch fort mit den Namensnennungen, und so weiß man nun, dass Ratzinger weit mehr als die notwendige Mehrheit bekommen haben muss - immerhin diese Zahl aber nennen die redseligen Kardinäle heute nicht.

Nach der Wahl wurde Ratzinger in das berühmte "Zimmer der Tränen" gebeten, das ist ein kleiner, mit einem roten Sofa recht spärlich möblierter Raum, der neben der Sixtinischen Kapelle direkt hinter der Wand mit Michelangelos Monumentalgemälde vom Jüngsten Gericht gelegen ist.

Die Namensgebung hat mit dem Gemütszustand zu tun, in dem sich offenbar viele neugewählte Päpste befanden: Einige, so ist es überliefert, sollen ob der Angst vor der Verantwortung gar zusammengebrochen sein.

Zusammengeflickter Papst

Ratzinger schien die neue Bürde hingegen eher gefasst zu nehmen, eben glaubensstark: "Der Herr weiß auch mit unzureichenden Instrumenten zu arbeiten," sagte er später den auf dem Petersplatz versammelten Menschen - das gebe ihm Zuversicht.

Das Tränenzimmer ist die Umkleidekabine, hier lagen am Dienstagabend die drei weißen Papstgewänder des römischen Schneiders Gammarelli, der sich auf die Haute Couture der Geistlichen spezialisiert hat. Drei Größen hatte Gammarelli geliefert, keine scheint jedoch so recht passend gewesen zu sein für Ratzinger: "Er sah wie zusammengeflickt aus", erzählt Kardinal Meisner kichernd, "nichts passte zusammen."

Zu diesem Zeitpunkt trug Ratzinger noch seinen schwarzen Priesterhabit unter dem weißen Gewand. Sein ganzes Leben hat der Bayer in schwarzem Tuch verbracht, jetzt muss er sich ans Weiß gewöhnen. Und auch die Kardinäle müssen sich an ihren neuen Papst gewöhnen.

Bohnensuppe und Äpfel

"Ich sah gar kein Käppi auf seinem Kopf", erzählt Kardinal Wetter jetzt "vor lauter weißem Haar konnte man es gar nicht sehen". Einer nach dem anderen haben sie ihm gratuliert, Meisner berichtet, er habe "gar kein Wort heraus gebracht dabei". Doch Ratzinger habe ihn ganz herzlich angeschaut und gesagt: "Du, ich komme nach Köln."

Damit war der Weltjugendtag gemeint, der im August in der Rheinmetropole stattfinden soll. "Lasst uns doch zusammenbleiben", habe Ratzinger die versammelten Kardinäle dann noch in der Sixtina aufgefordert: "Lasst uns miteinander zu Abend essen."

Niemals hatten die Kardinäle bislang nach einem Konklave noch so lange zusammengesessen, und auch dies geschah auf völlig unprätentiöse Art. Die Speisekarte im Hospiz der Heiligen Martha bot jedenfalls bei weitem nicht so erlesene Gerichte wie das edle römische Restaurant, in das Ratzinger zu Kardinalszeiten gerne eingekehrt war: Es gab Bohnensuppe, Fleisch mit roten Rüben und zum Nachtisch Äpfel.

Priesterseminar

Dann hätten die Schwestern allerdings noch Teller mit Eiscreme aufgetragen sowie ein Glas Sekt für alle, berichtet Meisner.

Ob das die Herren wohl noch zusätzlich beschwingte? : "Wir hatten eine Bombenstimmung, wir fühlten uns wie fröhliche Kinder, die mit ihrem Vater zusammensitzen." Alle seien sie zu den Deutschen gekommen, um ihnen zu diesem neuen Papst zu gratulieren - ein bisschen Nationalitätenstolz war also doch noch mit im Spiel.

Am Mittwochmorgen bei der ersten Messe ist die Sixtinische Kapelle noch wie zum Konklave mit Stühlen und Tischen möbliert. Und so wirkt der Gottesdienst eher wie ein Priesterseminar oder wie eine Versammlung der Jünger Jesu und nicht wie die feierlichen Messen, die man im Petersdom gewohnt ist.

Versprecher auf Latein

Und das ist wohl auch ganz im Sinne des neuen Papstes. Gefasst und konzentriert, aber zugleich leicht und souverän zelebriert er die Messe. Als sich der neben ihm stehende Kardinal einen Patzer erlaubt, zuckt er nicht mal mit der Wimper.

Es ist ausgerechnet Alfonso Lopez Trujillo, ein Kurienkardinal aus Kolumbien, der nach allem, was bekannt wurde, wie kein anderer vor dem Konklave Wahlkampf für Ratzinger gemacht hatte: Mit Briefen, Essenseinladungen und mehr.

Nun spricht er den neuen Papst entsprechend der Messe auf Lateinisch an, doch statt Benedikt XVI. zu sagen, entrutschen ihm die gewohnten Worte: "Papst Johannes Paul II."

Kollege Oberhirte

Später setzt Ratzinger zu seiner Rede an, und die hört sich klar und stringent an, beinahe so trocken wie ein Regierungsprogramm. Das Papstamt sei nur auszuüben, erklärt der Bayer in blütenreinem Latein, "in Verbindung mit einer inneren Erneuerung, der ich mich hingeben möchte".

Beinahe wie bei einem Politiker klingt es dann, als er sich bei den Kardinälen "für das mir entgegengebrachte Vertrauen" bedankt. Und in diesem Dank steckt auch schon eine gewisse Programmatik. "Nur in der Kollegialität der Bischöfe", fährt Ratzinger jetzt fort, könne er das Petrusamt ausüben, und er erklärt: "Auf ihre Hilfe und ihren Rat zähle ich."

In diesen schlichten Worten steckt bereits die erste Überraschung und mancher der anwesenden Kardinäle mag vielleicht seinen Ohren nicht trauen, als er den neuen Papst so reden hört: Ausgerechnet Ratzinger, der sich als oberster Glaubenswächter stets für den römischen Zentralismus stark gemacht hat, ist jetzt für die Kollegialität unter den Geistlichen?

Auf den Spuren Johannes Pauls

"Er wird uns noch alle überraschen", sagt der alte italienische Kardinal Ersilio Tonini später in einer Fernsehdiskussion: "Er kann ironische Witze machen, seine Überzeugungskraft ist enorm, und er ist sehr souverän", meint der 90-jährige Kardinal, der ein enger Vertrauter von Karol Wojtyla war.

Ratzinger, so glaubt Tonini, habe die Kraft zur Sammlung, auch zur Einigung: "Johannes Paul II. ist vorangegangen, jetzt verkörpert Benedikt XVI. die Kirche, die auf seinen Spuren folgt." Schon am ersten Tag dieses neuen Pontifikats scheint sich so das Gefühl durchzusetzen, dass hier keineswegs nur ein schlichter Übergangspapst gewählt wurde, wie es vor dem Konklave immer hieß.

Der 78jährige Ratzinger mag die Welt nicht neu erfinden wollen, doch ihm wird die intellektuelle und auch die emotionale Kraft zugetraut, die Kirche in schwierigen Zeiten gleichsam wieder auf die Füße zu setzen und zugleich Initiativen voranzutreiben, bei denen Johannes Paul II. zuletzt nicht mehr recht weiter kam.

© SZ vom 21.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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