Ralf Stegner im Porträt:Querulant mit offenem Visier

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Ralf Stegner ist einer der profiliertesten Innenpolitiker, den die SPD noch hat - und gilt als Mann schonungsloser Worte. Der Konflikt mit der CDU im Kieler Kabinett ist beendet. Stegner gibt im Januar sein Amt als Innenminister auf - um im kommenden Landtagswahlkampf wieder anzugreifen.

Gökalp Babayigit

Als sich Altkanzler Gerhard Schröder am Wochenende demonstrativ vor den vielgescholtenen SPD-Chef Kurt Beck stellte, zeugte die Wortwahl in seiner Verteidigungsrede von Weitsicht: "Wir haben nicht mehr so viele Leute", sagte Schröder in einer Rede vor der Wolfratshausener SPD, "also schießt nicht auf den Klavierspieler. Es könnte sein, es gibt sonst keinen mehr."

"Ich bin nicht für den diplomatischen Dienst geeignet": Ralf Stegner weiß sehr genau, wo seine Stärken liegen. (Foto: Foto: AP)

Schröder sprach im Heimatort seines alten Gegners Edmund Stoiber das aus, was viele denken: Es gibt nicht mehr viele Leute in der SPD, die die Partei in eine bessere Zukunft führen können, die es mit den Schwergewichten aus der Union auf Augenhöhe aufnehmen können.

Galten die Worte Schröders am Wochenende noch dem angeschlagenen Kurt Beck, so müssen sie ebenso für Ralf Stegner gelten.

Der Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein ist einer der profiliertesten Innenpolitiker, die den Sozialdemokraten noch geblieben sind. Doch ein einfacher Typ im Umgang ist er nicht - das wissen die Koalitionspartner der Union in Kiel, das wissen aber auch seine Genossen, von der Waterkant bis auf die, die ihn auf Bundesebene als schleswig-holsteinischen Innenminister erlebt haben.

"All sein Tun hat etwas Diabolisches"

Stegner, 1959 geboren im rheinland-pfälzischen Bad Dürkheim, wurde im nördlichsten Landesverband förmlich an die Spitze gespült. Im Jahr 1990 begann der promovierte Politologe (Thema seiner Doktorarbeit: "Theatralische Politik made in USA") als Referent für Pressearbeit im Arbeits- und Sozialministerium, bevor er 1996 zum Staatssekretär wurde. Ein sensationeller Aufstieg: vom Pressesprecher zum Staatssekretär. Der Mann wollte also mehr.

Zwei Jahre später wechselte er zunächst in gleicher Funktion ins Bildungsministerium. In dieser Zeit formte er seinen Ruf als ehrgeiziger Amtschef, der kein Blatt vor den Mund nahm und wegen seiner Streitlust "roter Rambo" geheißen wurde. Mit der heute noch amtierenden SPD-Schulministerin Ute Erdsiek-Rave verband ihn nach kurzer Zeit eine herzliche Abneigung.

Und so waren beide Seiten froh, als die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis im Jahr 2003 ihr Kabinett umbildete. Stegner wurde zum Nachfolger von Finanzminister Claus Möller (ein Vorgang, der sich ein paar Jahre später auch bei der Wahl zum Landesvorsitzenden wiederholen sollte) und galt als Kronprinz der Ministerpräsidentin, der sie im Amt beerben sollte, wenn Simonis nach der Wahl 2005 nur im Amt geblieben wäre. Doch es sollte ja anders kommen.

Simonis verlor spektakulär die Abstimmung, die ohne eigene Mehrheit ausgestattete Regierung mit Tolerierung des Südschleswigschen Wählerverbandes fortzusetzen, weil ihr ein Abweichler aus den eigenen Reihen die Stimme verwehrte. Dass die FDP damals streute, dass Stegner hinter der Affäre stecke, war zwar absurd, da diesem jegliches Motiv fehlte, aber es verschaffte ihm über Monate hinweg einen schlechten Leumund. Und es zeigte, was man dem Mann mit dem großen Ehrgeiz so alles zutraute.

In der Großen Koalition besetzte er schließlich das Innenressort - doch beste Freunde waren und wurden Stegner und sein Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) nie. Vielmehr musste Carstensen den Aufsteiger wohl oder übel akzeptieren. Schließlich war er auch innerhalb der Nord-SPD so mächtig geworden, dass seine Einbindung ins Kabinett mittlerweile zur Koalitionsfrage stilisiert wurde. Und das, obwohl auch vielen Sozialdemokraten die Carstensen-Stegner-Konstellation nicht ganz geheuer war - und nach wie vor ist.

An seinem Profil als scharf formulierender und klare Positionen beziehender Innenpolitiker arbeitet Stegner in vielen Bereichen. Er ist kein klassischer "Lautsprecher", der mit Forderungen um sich wirft und den politischen Gegner um des Attackierens willen attackiert. Dagegenhalten, so schreibt die FAZ, sei eine schöne Beschäftigung für Stegner. Über ihn werde gesagt, was mitunter über besonders kluge Menschen gesagt werde: Seine Intelligenz ist schneidend, all sein Tun habe so "etwas Diabolisches".

Stegner will in der Politik "keine Männerfreundschaften pflegen"

So findet Stegner genug innenpolitische Themen, in denen er Position beziehen kann. In der Integrationspolitik, dem "Megathema des nächsten Jahrzehnts", zeichnete er gemeinsam mit NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) für das Länderkonzept für den Nationalen Integrationsplan verantwortlich.

Er scheute dabei nicht den Konflikt mit Ressortkollegen anderer Bundesländer, als es um schärfere Einbürgerungsregeln ging und er mit einem Veto bei der Innenministerkonferenz drohte. Der Ausländerpolitik des bayerischen Kollegen und künftigen Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU) attestierte er quasi nebenbei "intellektuelle Armseligkeit".

Stegners Streitlust bekam auch Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) zu spüren. Möllring, Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), wurde während der ohnehin schon aufreibenden Gespräche mit der Gewerkschaft Verdi des Öfteren Opfer des Friendly Fire seines eigenen Stellvertreters: Ralf Stegner. Dieser kritisierte den Verhandlungsstil Möllrings und unterstellte ihm, in den "tarifpolitischen Häuserkampf" ziehen zu wollen. Stegners lapidarer Kommentar zum internen Streit: "Ich habe Politik nie so verstanden, dass man da im Wesentlichen Männerfreundschaften pflegt."

Auch beim Thema innere Sicherheit sorgte Stegner immer wieder für bundespolitisches Aufsehen. Mehrfach betonte er, aus Schilys Schatten treten zu wollen, das Thema Bürger- und Freiheitsrechte weder den Liberalen und Grünen noch den Datenschützern überlassen zu wollen. Wer in der Debatte über die innere Sicherheit schweige, werde als Volkspartei auf Dauer keinen Erfolg haben.

Ralf Stegner gibt sich stets selbstbewusst: "Ich habe in Schleswig-Holstein gelernt, dass Wind von vorn nicht ungesund sein muss, wenn man sich warm anzieht." (Foto: Foto: dpa)

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekam ebenfalls schon des Öfteren Stegners klare Position mitgeteilt: in offenen Briefen, in denen der Kieler Innenminister das Verhalten Schäubles kritisierte, und beim Thema Online-Durchsuchung, auf die sich alle Innenminister einigen konnten - nur Stegner nicht. "Nach jedem vereitelten Anschlag", begründete Stegner jüngst seine sture Haltung, "werden gleich mittags neue Gesetze gemacht. Das geht mir manchmal ein bisschen schnell." Es gelte, kühlen Kopf zu bewahren und genau zu überlegen, was zielgerichtet und vernünftig ist.

Ein Kriegsgrund für Carstensen

Im Kieler Kabinett galt Stegner trotzdem eher als Heißsporn und Querulant. Die aktuelle Krise, die in seiner Rücktrittsankündigung zum 15. Januar 2008 mündete, kam nicht überraschend - im Gegenteil: Die Geschichte wiederholt sich. Erst im Mai diesen Jahres war der Konflikt innerhalb des Kabinetts offen gelegen, als Ministerpräsident Carstensen lautstark an der Loyalität seines SPD-Innenministers gezweifelt hatte.

Stegner hatte ohne Absprache den Medien gegenüber Vorschläge gemacht, die erwarteten Steuermehreinnahmen doch dafür zu benutzen, die Kürzungen der Beamtengehälter zu mildern. Bei dieser Gelegenheit kritisierte er auch gleich noch den Ministerpräsidenten für dessen Kurs gegenüber den Beamten. Für Carstensen nichts geringeres als ein "Kriegsgrund".

Damals reichten die entschuldigenden Worte Stegners, um die Wogen zu glätten. In der aktuellen Krise hat er den Bogen überspannt, als er offen bekundete, die zuvor in der Koalition vereinbarte Elternbeteiligung an den Schulkosten wieder ändern zu wollen. Das Misstrauen, mit dem ihm die CDU von Anfang an beäugte, scheint aus Sicht der Union gerechtfertigt zu sein. Das größte Problem der Koalition, sagte CDU-Fraktionschef Johann Waldphul bereits 2006, sei Ralf Stegner.

Stegner fehle, so fürchten Parteigenossen, der Stallgeruch

Als sicher gilt, dass der Landesvorsitzende die SPD bei den kommenden Landtagswahlen ins Feld führen wird. Stegner offizielle Begründung für seinen Rückzug aus dem Kabinett lautete, er habe seinen Rücktritt angeboten, um nicht aus einem Regierungsamt heraus in die Landtagswahl 2010 ziehen zu müssen.

"Ich habe jetzt die Freiheit, den Wahlkampf als Spitzenkandidat so zu führen, wie es meinem Naturell entspricht", sagte Stegner. Auf die Schlachten mit der Union scheint er gut vorbereitet. Bereits bei seiner Wahl zum Landeschef hatte er gesagt: "Ich habe in Schleswig-Holstein gelernt, dass Wind von vorn nicht ungesund sein muss, wenn man sich warm anzieht."

Die einzige offene Frage scheint nur noch zu sein, inwieweit die schleswig-holsteinische SPD die Worte Schröders beherzigt und Stegner den Rücken freihält - auch nach seinem Rückzug aus dem Kabinett. In der Partei wurde bemerkt, dass dem ehrgeizigen Politiker etwas fehle, was "Stallgeruch" oder "Seele der Partei" genannt wird.

Er wollte mit offenem Visier für die SPD kämpfen, sagte Stegner bei seiner Wahl zum Landesvorsitzenden. Wie sehr das die Wähler beeindrucken wird, muss sich zeigen. Die Volksnähe, wie sie Kurt Beck in Rheinland-Pfalz vorlebt, kann er nicht vorweisen - und ist damit gegenüber dem im Volk beliebten Ministerpräsidenten Carstensen im Nachteil.

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