Raketenabwehrpläne der USA:Im Kampf gegen die Naturgesetze

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Amerikanische Physiker halten wesentliche Teile des teuren Programms für undurchführbar.

Patrick Illinger

Die Welt könnte so sicher sein. Während ein wasserdichter Schutzwall an der Heimatfront feindliche Einwanderer abhält, schützt ein lückenloses Netz aus Abfangraketen und Laserkanonen vor Interkontinentalraketen aus allen Winkeln der Erde. Es sind hoch fliegende Visionen, mit denen amerikanische Politiker und Militärplaner den Bedrohungen des 21. Jahrhunderts begegnen wollen.

Die USA hätten nur eine ganz kurze Reaktionsphase, falls Nordkorea eine Atomrakete abschießen sollte. (Foto: SZ-Grafik)

Wie das technisch gehen kann, sich von Land, Wasser, Luft und Weltraum aus gegen feindlichen Raketenbeschuss zu wehren, haben nun namhafte unabhängige amerikanische Physiker untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Welt in der Tat sicherer sein könnte, wären da nicht noch die Naturgesetze, die Physik von Zeit und Raum, die sich nicht einmal mit einem Militärbudget von 400 Milliarden Dollar (wie von den USA im kommenden Jahr geplant) aushebeln lassen.

Mit einer aufwändigen und detaillierten Analyse der US-Raketenabwehrpläne haben sich am Dienstag Mitglieder der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft, unter ihnen Daniel Kleppner vom Massachusetts Institute of Technology und David Mosher von der Rand-Corporation zu Wort gemeldet.

Demnach sind wesentliche Teile der von der US-Regierung geplanten Raketenabwehrpläne praktisch nicht realisierbar. Die 400-Seiten-Studie der APS untersucht insbesondere die Chance, feindliche Raketen bereits während der Startphase mit eigenen Raketen oder Laserstrahlen abzufangen und zu zerstören.

Diese Form der Raketenabwehr erscheint auf den ersten Blick aussichtsreich, da mehrere Probleme umgangen werden: Während der nur wenige Minuten dauernden Startphase, in der das Triebwerk brennt, ist eine Interkontinentalrakete noch als Ganzes vollständig und daher verletzlich. Später, während der antriebslosen Flugphase im Weltraum, können sich die feindlichen Raketen aufsplittern und ihre Sprengköpfe, darunter massenhaft Attrappen, verstreuen.

Für die Erprobung von Techniken, die feindliche Raketen bereits in der Startphase abfangen, hat das Weiße Haus im kommenden Jahr fast eine Milliarde Dollar eingeplant. Das vorgesehene Gesamtbudget für Raketenabwehr beträgt 9,1 Milliarden Dollar.

Teile dieses Geldes könnten verschwendet sein, folgt man der Argumentation der zwölf Physiker, die sich während der vergangenen drei Jahre mit der Abwehr von Raketen beschäftigt haben. Demnach sei es nicht prinzipiell ausgeschlossen, feindliche Raketenangriffe bereits in der Startphase abzuwehren. Die zeitlichen, technischen und auch geografischen Anforderungen machten diese Strategie jedoch praktisch unmöglich.

Die Startphase einer Interkontinentalrakete dauert nur drei bis vier Minuten. Sogar modernste Elektronik bräuchte jedoch 45 bis 65 Sekunden, um das Geschoss zu entdecken. Um es noch in der Startphase zu treffen, müsste die Abfangrakete wenige Sekunden nach der Identifizierung aufsteigen.

In dieser Zeit ließe sich aber nicht feststellen, ob es sich um eine zivile Trägerrakete oder einen Angriff handelt. Ein automatisiertes Abwehrsystem würde auf alles feuern, was senkrecht vom Erdboden aufsteigt. Alle friedlichen Raketenstarts müssten mit den USA abgesprochen werden.

Doch auch die Geografie macht die Sache kompliziert: Auf Grund der kurzen Zeitspannen müssten Abfangraketen nahe am Feindesgebiet stationiert sein.

Im Fall von Nordkorea käme hierfür Russland in Frage, doch würde die Abfangrakete das feindliche Projektil unweigerlich über chinesischem Staatsgebiet treffen. Von Russland in Richtung China fliegende Raketen dürften jedoch Probleme bereiten, und Nuklearsprengköpfe, die in China niedergehen, dürften für Peking völlig inakzeptabel sein.

Hinzu kommt, dass die Abfangraketen mit hoher Geschwindigkeit und bislang unerreichter Wendigkeit fliegen müssten. Außerdem sei zu erwarten, so die an der Studie beteiligten Wissenschaftler, dass Staaten wie der Iran oder Nordkorea binnen 15 Jahren in der Lage seien, Interkontinentalraketen mit Festbrennstoff zu entwickeln.

Diese brennen deutlich schneller als die derzeit üblichen Flüssigtreibstoffraketen und können ihre tödliche Fracht in weniger als drei Minuten in Richtung USA schleudern. Es wäre ausgeschlossen, so schnell mit einer Abfangrakete einzugreifen.

Denkbar wäre zwar, die Abfangraketen im erdnahen Weltraum zu stationieren. Doch auch dann müsste die im Orbit kreisende Abschussrampe sich unweit des feindlichen Gebiets befinden. Satelliten in niedriger Umlaufbahn bewegen sich jedoch mit hoher Geschwindigkeit um den Erdball.

Es müsste daher eine ganze Armada raketenbestückter Satelliten um die Erde kreisen. Das ließe sich wiederum nur realisieren, wenn die USA in den kommenden Jahren fünf bis zehn mal so häufig ins All starten wie bisher - ein kaum realisierbares Unterfangen.

Eine weitere Möglichkeit, feindliche Raketen abzufangen, bieten hochenergetische Laserwaffen, zum Beispiel an Bord einer Boeing 747. Ein entsprechendes Testflugzeug wird bereits seit dem vergangenen Jahr erprobt.

Weil die zerstörerische Energie eines Laserstrahls jedoch kaum über mehr als 600 Kilometer hinweg erhalten bleibt, müssten solche Flugzeuge sehr nahe an den feindlichen Abschussbasen kreisen. Das macht die fliegenden Laser verwundbar.

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