Rätsel der Woche:Warum läuft im NSU-Prozess kein Tonband?

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Bei den Auschwitz-Prozessen in den Sechzigerjahren halfen sich Juristen mit Tonaufnahmen. Wofür sind sie also erlaubt - und warum verzichten Richter?

Von Ronen Steinke

Man staunt aus heutiger Sicht, wie fest diese Stimmen eigentlich waren, hell, sogar freundlich. Und was für ein ausgezeichnetes Deutsch die Zeugen sprachen, die den schweren Gang auf sich genommen hatten, von Polen oder Ungarn aus zurück in das Land, dessen Völkermordtruppen sie noch kurz zuvor vernichten wollten. Zum großen Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-65) waren 357 Zeugen angereist, unter ihnen 211 Auschwitz-Überlebende. Man kann das alles nachhören heute. Die Richter ließen ein Tonband laufen, und Hessens Justizminister Lauritz Lauritzen (SPD) rettete 1965 diese Bänder vor dem Schredder.

Ein halbes Jahrhundert später soll dasselbe nicht mehr möglich sein. Der Vorsitzende Richter im Münchner NSU-Prozess, Manfred Götzl, hat Tonaufnahmen abgelehnt, obwohl sich Anwälte dafür einsetzten. Von diesem Prozess werden nur Papierberge bleiben, keine Bänder. Rechtlich hat sich indes wenig geändert. Aufnahmen wären durchaus möglich. Das Gesetz verbietet sie nur "zum Zwecke der öffentlichen Vorführung", wie es in Paragraf 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes heißt. Als "Gedächtnisstütze" für die Juristen sind sie erlaubt.

Richter Götzl aber scheut alles Ungewöhnliche, mit dem er sich angreifbar machen würde.

Man kann an ihn denken, liest man den Appell, den 1966 der Richter des Auschwitz-Prozesses, Hans Hofmeyer, auf dem Juristentag an seine Kollegen richtete: Es sei "geradezu grotesk", wenn Juristen am Ende eines Mammutprozesses über Aussagen urteilen müssten, die Jahre zurücklägen und nirgends mehr nachzuhören seien. "Es ist praktisch ausgeschlossen, dass die einzelnen Gerichtsmitglieder, insbesondere die Laienrichter, nach so langer Zeit die wörtlichen Aussagen und die Person eines jeden Zeugen im Gedächtnis haben." Er riet zu Mut beim Ausschöpfen der Möglichkeiten zur Dokumentation.

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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