Rätsel der Woche:Braucht ein Land eine Regierung?

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Somalia hat seit Jahren de facto keine, Belgien kam Hunderte Tage ohne aus und auch Spanien hielt es in den vergangenen Monaten ohne Regierung ganz gut aus. Nun gibt es in Madrid wieder eine Regierung. Wird jetzt alles besser?

Von Sebastian Schoepp

Spanien hatte ein Dreivierteljahr keine, Belgien kam nach der Wahl 2010 sogar 541 Tage ohne Regierung aus; Somalia lebt seit 1991 ohne eine Staatsverwaltung, deren Einfluss über ein paar Straßen der Hauptstadt hinausreichte. Aber geht das überhaupt, ohne Regierung leben? In Spanien ging es ganz gut. Während der zehn Monate, in denen Mariano Rajoys altes Minister-Team das Land kommissarisch verwaltete, nahmen die Exporte zu, die Arbeitslosigkeit sank, das Wachstum stieg auf Rekordhöhe im Euro-Raum. Und die Touristen ließen sich auch nicht abschrecken, es kamen mehr denn je. "Funktioniert Spanien ohne Regierung sogar besser?" fragten da nicht nur anarchistische Plattformen, sondern sogar die bürgerliche Tageszeitung La Vanguardia. Und der Schriftsteller Martín Caparrós stellte in der spanischen Ausgabe der New York Times fest: "Ein Land ohne Regierung sieht gefährlich ähnlich aus wie eines mit." In einer Welt, in der eh die Finanzzentren regierten, seien Regierungen offenbar nicht so wichtig.

Doch es sind eben genau die Ratingagenturen und Kreditgeber, die irgendwann wieder auf verlässliche Etat-Daten bestehen. "Ein Jahr können sie in etablierten europäischen Staatsstrukturen ohne Regierung überwintern", sagt der Hamburger Völkerrechtsprofessor Stefan Oeter. Eine funktionierende Bürokratie könne das schultern. "Aber die gesamte Gesetzgebungsmaschine steht still, es kann kein Haushalt verabschiedet werden, nichts kann geändert werden." Genau deshalb setzte die EU Spaniens Politiker massiv unter Druck, endlich wieder eine Regierung zu bilden - was Rajoy nach zehn Monaten nun auch gelungen ist. Das neue Kabinett sieht dem alten in Schlüsselpositionen übrigens ziemlich ähnlich; und es ist eine wackelige Minderheitsregierung, die nicht viel ändern kann. Aber manchmal, so sieht es aus, ist das ja das Beste.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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