Psychisch Kranke:Gegen den Willen der Patienten

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Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts soll der Staat psychisch kranke Menschen leichter zu einer Behandlung zwingen können.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeiten einer ärztlichen Zwangsbehandlung vorsichtig erweitert - und damit eine Gesetzeslücke geschlossen, die im schlimmsten Fall das Leben der betroffenen Menschen kosten konnte. Bisher dürfen nur solche Patienten gegen ihren Willen ärztlich behandelt werden, die zugleich in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind - psychisch Kranke etwa, die sich gegen eine dringend notwendige stationäre Behandlung wehren. Dies ist aber nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Patienten, die sich nicht mehr aus eigener Kraft fortbewegen können, dürfen zur Behandlung nicht in eine geschlossene Einrichtung eingewiesen werden, weil der damit verbundene Freiheitsentzug schlicht nicht notwendig ist. Für solche immobilen Patienten war es nach den Buchstaben des Gesetzes bisher unmöglich, eine Zwangsbehandlung anzuordnen. Nach dem nun veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verstößt dies gegen die staatliche Pflicht zum Schutz des Lebens. Der Erste Senat ordnete eine Neuregelung an und verfügte, dass von sofort an eine Zwangsbehandlung zulässig ist. (Az: 1 BvL 8/15)

Wer eine Magensonde ablehnt, muss sich fragen lassen, ob das ein "freier" Entschluss ist

Auslöser des Beschlusses war der Fall einer - inzwischen gestorbenen - 63-jährigen Frau, die an einer Psychose und weiteren Krankheiten litt, darunter eine Autoimmunerkrankung. Zunächst war sie in einer geschlossenen Demenzstation untergebracht. Sie wurde über eine Magensonde ernährt und mit Medikamenten versorgt, weil sie die Essensaufnahme verweigerte und Suizidabsichten äußerte. Schließlich wurde Brustkrebs diagnostiziert, doch sie wollte weder eine Operation noch eine Chemotherapie. Eine weitere Unterbringung der inzwischen stark geschwächten Frau - die sich nicht einmal im Rollstuhl selbst fortbewegen konnte - lehnte das zuständige Amtsgericht ab. Damit war die Grundlage für eine Zwangsbehandlung entfallen, obwohl klar war, dass die Frau wegen ihrer psychischen Krankheit die Konsequenzen ihrer Weigerung nicht abschätzen konnte.

Laut Verfassungsgericht gebietet die staatliche Schutzpflicht, Patienten notfalls auch gegen ihren Widerstand zu behandeln - vorausgesetzt, ihre Weigerung ist nicht Ausdruck eines frei gebildeten Willens, sondern einer psychischen Krankheit. "Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen." Entspricht die Weigerung allerdings "dem ursprünglichen freien Willen des Betreuten", dann scheide eine Zwangsbehandlung aus. Nach den Worten von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ist in der Praxis vor allem der Inhalt einer Patientenverfügung entscheidend. Solche Verfügungen müssten nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs sehr konkrete Vorgaben machen, etwa zur Frage, in welchem Stadium einer bestimmten Krankheit der Patient eine Magensonde ablehnt. Brysch plädierte dafür, die erforderliche Gesetzesänderung für eine Klarstellung zu nutzen.

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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