Prüfkommission:Doktor dreist

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An deutschen Transplantationszentren sind zum Teil systematisch Patientendaten manipuliert worden, um schneller an Spenderorgane zu kommen.

Von Verena Mayer, Berlin

Dreieinhalb Jahre ist es nun her, dass in Deutschland der Transplantationsskandal ins Rollen kam, doch die Aufarbeitung dauert bis heute an. Am Donnerstag haben die bei der Bundesärztekammer angesiedelten Prüfungs- und Überwachungskommissionen ihren Jahresbericht vorgelegt. Die gute Nachricht: Seit 2012 habe es in der deutschen Transplantationsmedizin einen "Struktur- und Kulturwandel" gegeben, so Anne-Gret Rinder, Vorsitzende der Prüfungskommission. Die schlechte Nachricht: Die Manipulationen, die entdeckt wurden, waren auf eine Weise systematisch, dass man fast schon von krimineller Energie sprechen könnte.

So wurden in den überprüften Jahren 2010 bis 2012 an Herzzentren in Berlin, München, Heidelberg, Jena und Köln nicht nur falsche Angaben über den Gesundheitszustand von Patienten gemacht, um sie auf der Warteliste für ein Spenderorgan weiter nach oben rücken zu lassen; sondern man verabreichte den Patienten auch hochdosierte Herzmedikamente, um sie kränker erscheinen zu lassen, als sie waren. Dadurch bekamen sie den Status der Hochdringlichkeit verliehen und erhielten ein Organ, obwohl es gar nicht so schlecht um sie stand. 88 Verstöße gab es insgesamt, das Muster sei an allen Herzzentren gleich gewesen und spreche "eindeutig für ein systematisches Vorgehen", so Rinder.

In Kliniken in Jena und München wurden zudem Daten von Patienten manipuliert, die auf eine Spenderlunge warteten. Da wurde zum Beispiel an die Vermittlungsstelle für Organspenden, Eurotransplant, gemeldet, eine Patientin sei aus Atemnot nicht mehr in der Lage, zu sprechen oder ihr Bett zu verlassen. In Wirklichkeit saß die Patientin mit ihrem Mann im Café oder ging selbst bei Hitze im Park spazieren. Auf 47 Fälle von Manipulationen stieß die Prüfungskommission, über die Gründe kann die Vorsitzende Rinder nur spekulieren. Höhere Fallzahlen, vielleicht auch altruistische Motive. Dass Ärzte also das Leid ihrer Patienten lindern wollten. Finanzielle Gründe können die Prüfer hingegen ausschließen. Privatpatienten seien nicht bevorzugt worden.

Um weitere Organ-Skandale zu verhindern, fordern Kritiker mehr staatliche Aufsicht

Ein weiteres Thema betraf den Hirntod. Dieser muss festgestellt werden, bevor einem Spender Organe entnommen werden dürfen. Wann ein Mensch wirklich tot ist, wirft nicht nur ethische Fragen auf, der Hirntod gehört auch zu den kompliziertesten Diagnosen, die ein Arzt stellen muss. 45 Fälle wurden überprüft. Einmal, so der Bericht, wurde der Hirntod nicht nach den Richtlinien festgestellt, in einem anderen Fall musste die Explantation abgebrochen werden, weil offenbar unklar war, ob eine Spenderin wirklich tot war. In beiden Fällen wurden keine Organe entnommen. Der Vorsitzende der Überwachungskommission, Hans Lippert, sieht dennoch kein Problem für die Transplantationspraxis. Die Hirntodfeststellung werde mit großem Aufwand betrieben, zudem wurden die Regeln in diesem Jahr verschärft, so Lippert.

Kritik an den Kommissionen, die 46 Transplantationszentren mit 126 Transplantationsprogrammen geprüft hatten, kam von den Grünen-Gesundheitspolitikern Harald Terpe und Elisabeth Scharfenberg. Sie fordern eine stärkere staatliche Aufsicht. Das ganze Transplantationssystem liege in der Hand von privaten Organisationen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz schloss sich dem an und nannte das bisher bekannte Ausmaß der Manipulationen "erschreckend".

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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