Prozess gegen John Demjanjuk:Täter und Helfer

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Polen und Ukrainer fürchten, Deutschland wolle durch den Prozess gegen John Demjanjuk seine Verantwortung für den Holocaust relativieren.

Thomas Urban

Der Münchner Prozess gegen John Demjanjuk hat von Anfang an eine große Aufmerksamkeit in den polnischen und ukrainischen Medien gefunden. Der mutmaßliche ehemalige Wachmann des von der SS im besetzten Polen eingerichteten Vernichtungslagers Sobibor stammt aus dem zentralukrainischen Bezirk Winniza, Ukrainisch ist seine Muttersprache.

Der 89 Jahre alte John Demjanjuk soll 1943 als Wachmann im damaligen Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen an der Ermordung von 27900 Juden beteiligt gewesen sein. (Foto: Foto: ddp)

In beiden Ländern lassen die Prozessbeobachter keinen Zweifel daran, dass eine strenge Bestrafung des 89Jahre alten Demjanjuk gerechtfertigt wäre, falls ihm individuelle Schuld nachgewiesen werden könne. Doch stören sich in Polen wie auch in der Ukraine viele Kommentatoren daran, dass dieser Prozess ausgerechnet vor einem deutschen Gericht stattfindet.

In beiden Ländern wird der Prozess in den Kontext der aktuellen großen Debatten über den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen gestellt, die in beiden Gesellschaften mit großen Emotionen geführt werden.

Sowohl in Polen als auch in der Ukraine wird dabei der deutschen Seite unterstellt, sie wolle durch den heutigen Prozess gegen einen Angeklagten aus einem damals besetzten Land die deutsche Schuld und Verantwortung für den Holocaust relativieren. In einem Kommentar der nationalkonservativen Warschauer Zeitung Rzeczpospolita hieß es: "Wir dürfen aber nicht vergessen, wer Demjanjuk zum Täter gemacht hat. Es waren die NS-Herren über Leben und Tod."

Rzeczpospolita stellt fest, dass in der Bundesrepublik die Tendenz bestehe, die von der SS in den besetzten Ländern rekrutierten Hilfskräfte auf eine Stufe mit den deutschen Haupttätern zu stellen. Doch die in der Bundesrepublik neuerdings propagierte These, der Holocaust wäre "ohne die eilfertige Unterstützung von Millionen Angehörigen der Völker Osteuropas" nicht möglich gewesen, lasse die Tatsache in den Hintergrund treten, dass die "teuflische Vernichtungsmaschinerie" Teil der Staatspolitik des damaligen Deutschlands gewesen sei. Nahezu alle polnischen Blätter weisen darauf hin, dass bei den Sobibor-Prozessen in der Bundesrepublik während der sechziger und siebziger Jahre nur die Hälfte der zwölf angeklagten SS-Männer überhaupt verurteilt worden sei. Lediglich der Lagerleiter bekam damals eine lebenslängliche Haftstrafe, während die anderen fünf Verurteilten nur zwischen drei und acht Jahren in Haft kamen.

Vor allem die Medien in der Westukraine weisen auf das Schicksal Zehntausender Landsleute während des Krieges hin, die nur die "Wahl zwischen Pest und Cholera" gehabt hätten. So habe sich Demjanjuk offenbar als Freiwilliger für das Hilfspersonal der SS gemeldet, um dem sicheren Hungertod als kriegsgefangener Rotarmist in einem deutschen Lager zu entgehen. In den Grenzen der heutigen Ukraine haben sich während der Besatzung Zehntausende junge Männer freiwillig zu den von den Deutschen aufgestellten Verbänden gemeldet, da sie die Wehrmacht zunächst als Befreier vom sowjetischen Joch ansahen. Die Zentralukraine war 1933 und 1934 besonders von der Kollektivierungspolitik Stalins betroffen, in Folge der vom Kreml angeordneten Requirierung der Ernteerträge waren Millionen verhungert. Die bis zum Krieg zu Polen gehörende Westukraine hatte den sowjetischen Terror von September 1939 an erlebt, als die Rote Armee in die Region einmarschiert war. Dass sich ein Teil der unter deutschem Oberbefehl stehenden ukrainischen Verbände an der Jagd auf Juden und an den Massenmorden beteiligt hat, war in Sowjetzeiten tabu und ist erst in den letzten anderthalb Jahrzehnten zum breit diskutierten Thema geworden.

Die Kommentare zu Demjanjuk in den ukrainischen Medien überschneiden sich mit einer Kontroverse über den unierten Metropoliten von Lemberg (Lviv) während des Krieges, Andrij Szeptycki. Zur unierten, auch griechisch-katholisch genannten Kirche, die dem Vatikan untersteht, bekennt sich die Mehrheit der Einwohner der Region. Szeptycki hat einerseits wohl mehrere tausend Juden gerettet, was auch die israelische Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem würdigt. Er ließ sie in den unierten Klöstern verstecken, einigen Dutzend gewährte er auch in seiner Lemberger Residenz Unterschlupf. An die SS-Führung von Lemberg schickte er damals ein Schreiben, in dem er diese an das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten!" erinnerte.

Andererseits hat er Militärseelsorger zur SS-Division Galizien abgestellt, der unter deutschem Kommando vor allem Ukrainer angehörten. Der Metropolit hatte damals angeführt, die Priester sollten verhindern, dass im Namen der Ukraine Verbrechen verübt werden. Diese Verbrechen sind dennoch massiv geschehen. Deshalb haben Historiker Szeptycki immer wieder vorgeworfen, er habe diese letztlich durch seine Kirche absegnen lassen.

Westukrainische Medien verweisen darauf, dass die Region wegen des von den Deutschen entfesselten Krieges gegen den Willen der Bevölkerung der Sowjetunion angeschlossen wurde. Die Deutschen hätten für die Zerstörungen in dem Land nie irgendeine Entschädigung geleistet. Dass Deutsche nun über einen Landsmann richteten, den der damalige deutsche Staat zu Hilfsarbeiten bei deutschen Verbrechen herangezogen habe, irritiere die Ukrainer zutiefst, hieß es in der Lemberger Zeitung Wysoki Samok. Ein Verfahren in einem anderen Staat wäre für alle Beteiligten besser gewesen.

So sehen es auch polnische Kommentatoren. Für die konservativ und nationalpatriotisch orientierten Medien gilt es seit mehreren Jahren als verbürgt, dass die deutsche Elite die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umschreiben wolle: Die Deutschen wollten nun in die Reihe der Opfer des Krieges aufgenommen werden, behaupten sie. Als Belege für diese Einschätzung werden deutsche Dokumentationen und Fernsehfilme über Flucht und Vertreibung, über den Bombenkrieg, über die von Rotarmisten vergewaltigten Frauen und das Los der einfachen Kriegsgefangenen in sowjetischen Lagern angeführt. In einem Kommentar des staatlichen Fernsehsenders TVP hieß es, dass Deutsche nun über Kriegsverbrecher aus den einst deutsch besetzten Ländern zu Gericht sitzen, sei eine neue Qualität der Geschichtsrevision und schwer zu akzeptieren.

© SZ vom 14.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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