Proteste in Iran:Schlachtrufe von den Dächern

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In Teheran protestieren Hunderttausende gegen Mahmud Ahmadinedschad. Eine weitere Spaltung der iranischen Gesellschaft könnte Richtung Bürgerkrieg führen.

Rudolph Chimelli

Als Zehntausende in Teheran allnächtlich von ihren Hausdächern "Allahu akbar - Gott ist am größten!" riefen, war dies das akustische Vorspiel zur Revolution von 1979. In der Nacht zum Montag stiegen die Menschen wieder auf die Dächer, doch jetzt lautet ihr Schlachtruf "Allahu akbar - Tod dem Diktator!" Sie meinen den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, dessen Wiederwahl von der Opposition angefochten wird. Zugleich fuhren Kolonnen hupender Autos durch die nördlichen Viertel Teherans, in denen die Sympathisanten des, laut offiziellen Angaben, geschlagenen Rivalen Mir Hussein Mussawi in der Mehrzahl sind.

In Teheran protestieren Hunderttausende gegen Mahmud Ahmadinedschad. (Foto: Foto: dpa)

Diese Form des Protests ist relativ risikolos und kaum zu unterdrücken. Mussawi hat seine Anhänger mehrmals aufgefordert, Gewaltakte zu unterlassen. Er weiß, dass sie - anders als Sprechchöre und Hupkonzerte es sind - rufschädigend für seine Bewegung wären. Was ihm vorschwebt, ist ein funktionierender Staat mit einer freieren Gesellschaft, nicht Anarchie.

Für seine Verlautbarungen muss Mussawi ins Internet gehen. Die für Politiker normalen Kommunikationsmöglichkeiten hat ihm das Regime genommen. Im staatlichen Monopol-Fernsehen und im Rundfunk kommt er nicht mehr zu Wort. Dort sehen die Iraner nur den Präsidenten, der die Ehrlichkeit seines Wahlsiegs beteuert. Die wenigen Zeitungen, die Mussawi unterstützten, sind am Tag nach der Wahl geschlossen worden. Eine davon hatte er selber geleitet.

Dichtung und Wahrheit im Netz

Das Internet mit seinen unzählbaren Blogs und anderen Möglichkeiten ist hingegen für das Regime schwer zu kontrollieren. Wird eine Web-Seite von der Zensur blockiert, so taucht sie sofort über Umleitungen zu ausländischen Adressen oder unter anderem Namen wieder im Netz auf. Jeder, der damit umgehen kann - und das sind in Iran Millionen -, weiß Bescheid über die Lage.

Auch wenn die Informationsflut in ihrem Inhalt nicht nachprüfbar ist und Dichtung von Wahrheit schwer unterscheidbar bleibt, wurde das Netz binnen kurzem zum Podium für alle Regimegegner.

Das langfristig größere Problem liegt darin, dass viele Millionen anderer Iraner, bei weitem die Mehrheit, zu diesem neuen Medium keinen Zugang haben. Die schon bestehende iranische Zwei-Klassen-Gesellschaft verfestigt sich: auf der einen Seite Informierte mit politischem Unterscheidungsvermögen, auf der anderen Seite die Konsumenten der offiziellen Propaganda, die ihnen keine Alternativen liefert. Dass diese zweite Kategorie der Iraner ein fast unerschöpfliches Stimmen-Reservoir für Ahmadinedschad darstellt, verhalf ihm zu dem Wahlergebnis, das durch Schwindel allein nicht erschöpfend erklärbar ist.

Irans Existenz steht auf dem Spiel

Bisher waren es militante Anhänger der unterlegenen Kandidaten, die von der Polizei geprügelt wurden. Wenn sich Demonstrationen für Ahmadinedschad und Straßenkundgebungen für Mussawi begegneten, so haben sich die Gegner bisher nur verspottet, beschimpft oder anderweitig verbal angefeindet. Dauert jedoch die politische Konfrontation zwischen dem Regime und den Oppositionellen an, dann drohen katastrophale Weiterungen. Die beiden schon durch das Internet getrennten Teile des iranischen Volkes könnten zu Parteien einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung werden.

Der Präsident hätte, falls es dazu käme, starke Kräfte aufzubieten: die Parallel-Armee der Revolutionsgarden und die Massen-Organisation der Bassidsch. Dass er und seine Parteigänger das Feld räumen, einen Wahlschwindel eingestehen und sich damit abfinden, die Unterlegenen in einer demokratisch gefällten Entscheidung zu sein, ist äußerst unwahrscheinlich.

Von einer Verschärfung der Auseinandersetzungen hätte niemand etwas. Das Land Iran wäre in seiner Existenz gefährdet, nicht nur in seiner jetzigen Staatsform. Es scheint, dass dies sowohl der geistliche Führer Ali Chamenei als auch Oppositionschef Mussawi begriffen haben. Sie sind einander seit den Gründerzeiten der Islamischen Republik vertraut. Acht Jahre haben sie zusammengearbeitet, Chamenei als Staatspräsident, Mussawi als Regierungschef.

Am Sonntagabend war der formell unterlegene Kandidat drei Stunden lang beim geistlichen Führer. Die Anweisung Chameneis an den Wächterrat, die Wahl zu überprüfen, ist wohl ein Resultat dieser Begegnung. Ob dies die Lage beruhigt, weiß aber noch niemand zu sagen.

© SZ vom 16.06.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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