Probleme vor dem Start von Hartz IV:Viele Arbeitslose im Januar ohne Geld

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Einen Monat vor dem Start des Arbeitslosengeldes II türmen sich neue Probleme auf. Arbeitslose, die gegen Hartz-IV-Bescheide Widerspruch einlegen, müssen damit rechnen, im Januar ohne Geld dazustehen, auch wenn sie Anspruch auf die Leistung hätten.

Von Nina Bovensiepen und Jonas Viering

In den Arbeitsagenturen gehen derzeit die ersten Beschwerden über fehlerhafte Bescheide ein. In den Schreiben der BA heißt es zwar, dass gegen falsche Berechnungen innerhalb eines Monats Widerspruch erhoben werden kann. Offiziell läuft die Widerspruchsfrist aber erst vom 1. Januar an, wenn das Hartz-IV-Gesetz in Kraft tritt.

Ein Mitarbeiter der Agentur für Arbeit in Leipzig bearbeitet einen Antrag auf Arbeitslosengeld II am Computer. (Foto: Foto: ddp)

Frühestens dann werden die Arbeitsagenturen auch mit der Beantwortung der Widersprüche beginnen. Für Betroffene, die einen fehlerhaften Bescheid mit einer Ablehnung oder falschen Berechnung des Arbeitslosengeldes II erhalten, bedeutet das, dass sie womöglich im Januar kein Geld erhalten werden - oder zumindest nicht genug.

"Uns sind da die Hände gebunden. Zu Widersprüchen können wir erst Stellung nehmen, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist", sagte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.

Warum die Behörde zwar schon Bescheide erlassen kann, ohne dass das Gesetz gilt, Widersprüche dagegen jedoch angeblich nicht zu bearbeiten vermag, konnte die Sprecherin nicht sagen. Auch wie viele Widersprüche schon eingegangen sind, ist der Behörde nach eigenen Angaben nicht bekannt. Man rechne aber nicht mit einer "Welle von Widersprüchen".

In den Arbeitsagenturen lägen Programme vor, mit denen Widersprüche erfasst und bearbeitet werden könnten. Derzeit seien die Agenturen aber mit der Erfassung der Hartz-IV-Anträge sowie dem Versand der Bescheide ohnehin ausgelastet.

Dies dürfte sich nach Meinung von Experten auch noch bis weit in den Januar hinziehen. Bis dahin blieben die Widersprüche in vielen Arbeitsagenturen wohl ungeöffnet liegen.

Die BA kann bislang nicht sagen, wann genau mit der Beantwortung der Widersprüche zu rechnen ist. "Bei offensichtlich falschen Dateneingaben sollten die Betroffenen versuchen, die Probleme auf dem Kulanzweg mit ihrem Berater in der Arbeitsagentur zu klären", schlägt die Sprecherin vor.

Neben diesen Problemen wird die Behörde seit Mittwoch auch von einem Machtkampf erschüttert. SPD-Chef Franz Müntefering legte dem Vorsitzenden des BA-Verwaltungsrats, Arbeitgebervertreter Peter Clever, den Rücktritt nahe.

"Der Mann ist dort fehl am Platze", sagte Müntefering vor mehreren hundert Betriebsräten. Als Arbeitgebervertreter sollte er besser für mehr Stellenangebote sorgen. Clever hatte zuvor die Vermittlungsleistung der BA heftig kritisiert.

Am Mittwoch bekräftigte er: "Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, stellt sich langfristig für die BA die Existenzfrage." Schuld sei die Bundesregierung, die der Agentur zu viel aufbürde.

Derzeit wolle sie wieder 3000 Stellen aus der Vermittlung in die Betreuung Langzeitarbeitsloser verlagern. Dies verschlechtere das Verhältnis Vermittler zu Arbeitslosen von eins zu 343 auf eins zu 469.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt stellte sich hinter Clever. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) reagierte sehr verärgert. Auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sagte, die BA habe Erfolge: "Das kann und darf nicht schlecht geredet werden, insbesondere nicht von denen, die es besser wissen müssten."

Die grüne Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert sagte: "Mit der Entsendung eines solchen Vertreters drohen die Arbeitgeber, sich zu diskreditieren." Isolde Kunkel-Weber, die für Verdi im BA-Aufsichtsrat sitzt, sagte über Clever: "Er schiebt den schwarzen Peter den Beschäftigten der BA zu, das ist ungerecht."

Rückendeckung erhielt Clever von Union und FDP. "Jemanden abwatschen, weil er seine Pflicht tut und sich kritisch äußert, das ist ein Unding", sagte Verwaltungsratsmitglied Jürgen Heike (CSU), Staatssekretär in Bayern.

Es sei an der Bundesregierung, Jobs zu schaffen. "Müntefering erweist sich als alter Ideologe, seine Vorwürfe sind abwegig", meinte Ronald Pofalla, CDU-Fraktionsvize. Auch der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP, Dirk Niebel, äußerte sich kritisch über die Vermittlungsleistung der BA und stellte den Sinn der Behörde infrage.

(SZ vom 02.12.2004)

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