Privatsphäre:Bundesrichter erschweren Lauschangriff

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verwertung abgehörter Selbstgespräche in Strafprozessen untersagt. Die Verurteilung eines Angeklagten wegen Mordes wurde aufgehoben, der Fall an das Landgericht München zurückverwiesen.

Helmut Kerscher

Der Mann war verdächtig, einen Landwirt erschlagen zu haben. In einem Selbstgespräch sagte er später, er hätte sein Opfer besser erschossen. Dabei war er abgehört worden. Die Bundesrichter bezogen sich in ihrer Entscheidung auf das neue Gesetz zum großen Lauschangriff, wonach der Kernbereich privater Lebensführung absolut geschützt sei.

Im ersten Prozess zum großen Lauschangriff seit der gesetzlichen Einschränkung der akustischen Wohnraumüberwachung stärkte der Bundesgerichtshof am Mittwoch in Karlsruhe die Privatsphäre. Abgehörte Selbstgespräche dürften nicht als Beweisstücke vor Gericht verwertet werden, urteilten die Richter.

"Kernbereich privater Lebensführung" absolut geschützt

Im konkreten Fall ging es um einen 46-jährigen Mann, der im vergangenen Jahr auf Grund einer abgehörten Selbstbezichtigung in München wegen Mordes verurteilt worden war. Der alkoholkranke Angeklagte war verdächtigt worden, im Oktober 1998 im Landkreis Fürstenfeldbruck (Bayern) einen auf dem Sofa schlafenden Landwirt mit einem massiven, kantigen Werkzeug erschlagen zu haben. Das konnte dem tatverdächtigen Maler zuerst allerdings nicht nachgewiesen werden.

Nach neuen Verdachtsmomenten wurde der Verdächtige viereinhalb Jahre später während eines Krankenhausaufenthalts mit Wanzen überwacht. In einem Selbstgespräch fragte sich der betrunkene Angeklagte, ob er sein Opfer nicht besser hätte erschießen sollen. Diese Bemerkung, die bei der Abhöraktion aufgezeichnet worden war, legte das Münchner Landgericht am 13. Dezember 2004 einer Verurteilung des Mannes wegen Mordes zu Grunde. Er bekam eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Weitere Verfahren erwartet

Der 1. Strafsenat des BGH entschied, dass die Verwertung der Abhörprotokolle im Strafprozess rechtswidrig gewesen sei. Auch zur Aufklärung von Schwerkriminalität dürften "Erkenntnisse aus einem Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung" in Strafprozessen nicht verwertet werden. Der Fall wurde nach München zurückverwiesen.

Als Begründung nannte der BGH das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getretene Gesetz zum großen Lauschangriff, mit dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2004 umgesetzt worden war. Konkret habe es sich um eine staatliche, heimliche Überwachung eines Selbstgesprächs in einem vom Grundgesetz geschützten Wohnraum gehandelt, nämlich einem Einzelzimmer in einer Klinik, sagte BGH-Richter Armin Nack.

Anders als etwa bei einem Tagebuch oder einem Zwiegespräch habe der Beschuldigte nicht damit rechnen müssen, dass seine Äußerungen Dritten zugänglich sein könnten. Die Bemerkungen seien zudem "interpretationsbedürftig" gewesen. Bei einem "eindeutigen Bezug zu einer Straftat" könne die Beurteilung anders ausfallen, sagte Richter Armin Nack. Der BGH stellte klar, dass Gespräche anders behandelt werden müssten als Selbstgespräche. Hätte der Angeklagte mit einer dritten Person über den Mord geredet, wären die Äußerungen möglicherweise verwertbar gewesen.

Sowohl Rechtsanwalt Eckhart Müller als auch der Vertreter des Generalbundesanwalts hatten die Aufhebung des Münchner Urteils beantragt. Sie beriefen sich auf die Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes, auf das Bundesverfassungsgericht und auf die schon von Plato und Cicero beschworene Gedankenfreiheit. Müller kündigte nach dem Urteil an, er werde die Freilassung seines Mandanten beantragen.

Der Karlsruher Bundesgerichtshof erwartet laut Richter Armin Nack nach dieser Entscheidung weitere Verfahren zum großen Lauschangriff. Der 1. Strafsenat habe sich jetzt auf die Entscheidung des konkreten Falles mit seinen Besonderheiten beschränkt und dabei mehrere Rechtsfragen offen gelassen, sagte er. So habe der BGH nicht entschieden, ob das Abhören in einem Krankenzimmer eventuell abgebrochen werden müsse oder ob ein Gespräch mit einem Angehörigen über eine Tat verwertet werden dürfte. Maßgebend sei in diesem Verfahren eine "Kumulation mehrerer Umstände" gewesen. (Az: 1 SstR 140/05)

© SZ vom 11.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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