Presseschau:Sumpf oder Nicht-Sumpf?

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: Bernd Schifferdecker)

In der Türkei herrscht Streit über den Syrien-Einsatz.

Ausgewählt von Mike Szymanski

Sumpf oder nicht: Wohin hat sich die Türkei mit ihrem Einmarsch in Nordsyrien vor bald zwei Wochen manövriert? Die Türkei ist jetzt Kriegspartei in Syrien, so viel steht fest. Etwa 50 Panzer sollen jenseits der Grenze im Einsatz sein. Es geht Ankara darum, die Fanatiker des sogenannten Islamischen Staates zurückzudrängen. Aber auch die kurdischen Kämpfer, die in Nordsyrien schon ein großes Gebiet entlang der Grenze zur Türkei unter Kontrolle gebracht haben. Ein Sumpf? "Es wäre unverschämt, den Nahen Osten einen Sumpf zu nennen, schreibt Nihal Bengisu Karaca, Kolumnistin der konservativen Zeitung Habertürk. "Dieses Land, das einst den Ottomanen entrissen wurde und seither viel erleben musste, gehört Türken, Kurden, Arabern, Turkmenen." Es sei eine Schande, es einen Sumpf zu nennen. Das mögen "die Westler" machen. Aber es machen nicht nur die Westler. Auch in der Türkei sehen viele Journalisten den Einmarsch im Nachbarland mit größter Sorge. "Schutzschild Euphrat" heißt die Operation. Und ja, für viele andere hat sich die Türkei tatsächlich damit in einen Sumpf begeben. Schon nach kurzer Zeit stellt sich für sie die Frage, wie es weitergehen soll: Im Moment geht es weder zurück noch wirklich vorwärts.

Ceyda Karan, Kolumnistin für die regierungskritische Cumhuriyet, meint, die Lage in Syrien sei schwer durchschaubar. "Die Fronten und Partnerschaften sind noch nicht klar. Alle warten auf den nächsten Schritt der Türkei." Für die Journalistin ist Russland die eigentlich bestimmende Macht in Syrien. Die Türkei hat gerade erst einen bald neun Monate andauernden Streit mit Moskau beigelegt. Ohne die Aussöhnung wäre es Ankara gar nicht möglich gewesen, überhaupt Truppen über die Grenze zu schicken. Dass die Türken wirklich frei agieren, glaubt die Journalistin nicht. "Es ist klar, dass Russland der Türkei nicht vertraut." Moskau werde genau darauf achten, dass die Türkei den russischen Interessen nicht in die Quere komme. "Sonst wird Russland nicht zögern, die Türkei und ihre stellvertretenden Kräfte zu schlagen"; Moskau liege einen Spielzug voraus. Wenn sich von Sonntag an die mächtigen Staatenlenker zum G-20-Gipfel treffen, werde man viel zu bereden haben. "Die Lage sieht so aus: Anscheinend wird das G-20 Gipfeltreffen in China zur Syrien-Arena."

Die regierungsnahe Presse wie Yeni Şafak feiert Ankaras Einmischung in Syrien. Ibrahim Karagül spricht von einer "neuen Entschlossenheit". Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Westen versuchen werde, den Einfluss der Türkei wieder zurückzudrängen. "Ich denke, dass die USA sehr bald die Annäherungsversuche der Türkei mit Russland und mit den Länder in der Region sabotieren werden." Das Freund-Feind-Denken ist gerade sehr ausgeprägt. Seit dem gescheiterten Putsch - im für Verschwörungstheorien anfälligen Land vermuten viele die CIA dahinter - stehen die USA für regierungsnahe Kreise auf der Seite der Feinde. Der Einmarsch in Syrien sei die letzte Gelegenheit zu verhindern, dass der Westen aus der Türkei ein zweites Syrien mache, schreibt Yeni Şafak.

Nuray Mert hat ihre Kolumne für die englischsprachige und moderat kritische Hürriyet Daily News "Die Söhne der Eroberer" genannt, um einen grundsätzlicheren Blick auf die türkische Außenpolitik, den Neo-Osmanismus der vergangenen Jahre zu werfen. Sie erinnert daran, dass sie vor Antritt der islamisch-konservativen AKP-Regierung 2002 begann: Bereits nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe der Westen die Türkei geradezu ermuntert, außenpolitisch eine viel aktivere Rolle einzunehmen.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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