Presseschau:Putsch nach dem Putsch

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Nach dem Umsturzversuch in der Türkei ist die Presse des andes wie gelähmt. Journalisten werden bedroht, sie haben das Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Das Wort der Woche in der türkischen Presse ist: Darbe. Man hat es so lange nicht mehr lesen müssen. Dass das Militär noch einmal mit Gewalt nach der Macht im Land greifen würde, erschien unvorstellbar. Der hastige Ruf nach der Todesstrafe für die Verschwörer danach ebenfalls. Der Putschversuch hat alles im Land in nur einer Nacht auf den Kopf gestellt. Seit Donnerstag herrscht sogar der Ausnahmezustand, zunächst für drei Monate. Wie die nächsten Wochen werden? Niemand weiß das so genau. Ayşe Arman, Kolumnistin der Hürriyet, drückt ein Gefühl aus, das viele Menschen in dem Land haben, das mit PKK- und IS-Terror wirklich schon genug durchmachen musste. "Wir haben so viel erlebt, dass unser Geist und Verstand mit den Ereignissen nicht mithalten können. Die vielen toten Zivilisten, die gelynchten Soldaten, die nur Befehlsempfänger waren. Zerdrückte Autos. Die Bomben auf das Parlament. Wir kommen da nicht mehr mit." Sie schreibt, der Putschversuch sei vorbei. Und nun? "Das ist ein nicht endender Wartezustand."

So sieht das auch Ergin Yıldızoğlu, ihr Kollege der regierungskritischen Cumhuriyet. Im Westen bekannt durch ihren Chefredakteur Can Dündar, gegen den Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich vor Gericht vorgeht. Die Frage "Was wird passieren?" sei jetzt wichtiger als zu versuchen, einen Sinn in dem Putsch erkennen zu wollen. An nur einem Tag hatte das Bildungsministerium 15 000 Leute entlassen. Zum Ende dieser Woche werden 60 000 Menschen von ihrem Job suspendiert, zum Teil verhaftet sein. Die Regierung verdächtigt sie der Nähe zu Fethullah Gülen und dessen gleichnamiger Bewegung. Erdoğan macht den islamischen Prediger für den Putschversuch verantwortlich. Der Ausnahmezustand macht seiner Regierung die Jagd nur leichter. Seine Anhänger erwarten Härte. "Bis zum letzten Fethullahisten!" titelt die regierungstreue Sabah.

Nicht nur im Westen fürchtet man Schlimmstes. Erdoğan könnte mit den neuen Befugnissen, die ihm für die Zeit des Krisenfalls zufallen, die Demokratie komplett aushöhlen. Murat Yetkin, Chefredakteur der Hürriyet Daily News sieht die Regierung vor einem ernsten Testfall. Dass sie der oppositionellen säkularen Partei CHP den Taksim-Platz für eine Demonstration überlassen will, stimmt ihn zuversichtlich. Ein solches Zugehen auf die Opposition habe es schon lange nicht mehr gegeben. Womöglich sei nicht alles schlecht in diesen düsteren Tagen.

Es gibt kaum einen Analysten, der Erdoğan durch den Putschversuch nicht gestärkt sieht. Ein großer Sieg für Erdoğan, glaubt Metin Münir vom Nachrichten- und Analyseportal T24. "Nichts kann ihn bremsen." Allenfalls ein Einbruch der Wirtschaft. Denn Erdoğans größtes Verdienst ist immer noch, für viele Türken Wohlstand gebracht zu haben.

Er schreibt, es gebe viele Beispiele dafür, wie Bürger ihre Regierenden stürzten. Dass das Volk den Putsch verhindert? Eher die Ausnahme.

Noch etwas ist neu. Es begann schon in der Putschnacht. Die Putschisten hatten den Staatssender TRT besetzt gehalten und deren Moderatorin gezwungen, eine Erklärung vorzulesen. Das Militär sei nun an der Macht. Erdoğan musste sich an die private Konkurrenz wenden, die seine Regierung sonst gerne mal gängelt, um in dieser Nacht zum Volk sprechen zu können. Ein Wendepunkt. Erdoğan - über sein Handy in Ton und Bild zugeschaltet - forderte die Leute auf, auf die Straße zu gehen. "Ein Hoch auf die freien Medien", schrieb Yusuf Kanlı von der Hürriyet Daily News. "Lasst uns hoffen, dass Erdoğan erkannt hat, wie wichtig sie sind."

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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