Presseschau:Panikmache

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(Foto: sz)

Noch ist gar nicht sicher, wie das geballte Auftreten des Zika-Virus zu beurteilen ist. Die brasilianische Presse aber reagiert bereits panisch. Die Rundschau von Lateinamerika-Korrespondent Boris Herrmann.

Die Entscheidung, wegen Zika den globalen Gesundheitsnotstand auszurufen, hat der Weltgesundheitsorganisation WHO reichlich Kritik eingebracht. Vor allem in Europa ist von Panikmache die Rede, dort, wo keine Ansteckungsgefahr besteht. In Brasilien dagegen, wo bislang die meisten Fälle von Zika und Mikrozephalie (Kinder mit zu kleinen Köpfen) gemeldet wurden, ist man bereits panisch, gerade weil so viel Fragen offen sind. "Weder die WHO noch sonst jemand weiß, ob Zika wirklich Mikrozephalie auslöst. Aber die Korrelation zwischen beiden ist stark genug, und Mikrozephalie ist so verheerend, dass eine solche Aktion gerechtfertigt ist", schreibt die Tageszeitung O Globo aus Rio.

Stellvertretend für den Tenor der Berichterstattung steht eine Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins Istoé, in der das Zika-Virus auch als Schmach für das ohnehin angekratzte brasilianische Image dargestellt wird. "Jetzt stehen wir als die Schuldigen da für die globale Ausbreitung des Virus", schreibt Istoé. "Wir", damit ist bei genauer Betrachtung vor allem "die Präsidentin" gemeint. "Die Unfähigkeit der Regierung, die Epidemie zu kontrollieren, hat Aedes aegypti in ein Supermoskito verwandelt, der Grenzen überschreitet, sich in Lateinamerika ausbreitet, die Welt in Schrecken versetzt und zukünftige Generationen von Brasilianern bedroht." Wie groß die Bedrohung wirklich ist, mag umstritten sein, vor allem schwangere Frauen empfinden sie aber als sehr real.

Das lenkt den Fokus auf ein großes Tabuthema des Landes: illegale Abtreibungen. Unter der Woche zitierte die Tageszeitung Folha d e S . Paulo mehrere Ärzte, die von verzweifelten Patientinnen berichteten. Diese Frauen hätten wegen einer Zika-Infektion um einen anonymen Schwangerschaftsabbruch gebeten - aus Angst, ein geschädigtes Kind zur Welt zu bringen. Das katholisch geprägte Brasilien hat eines der schärfsten Abtreibungsgesetze weltweit. Es gilt ein grundsätzliches Verbot, das nur wenige Ausnahmen zulässt, beispielsweise, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Gleichzeitig ist es ein offenes Geheimnis, dass es landesweit jährlich Zehntausende illegale Abtreibungen gibt, zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen. Eine Gruppe von Anwälten hat deshalb beim Verfassungsgericht beantragt, Schwangerschaftsabbrüche zu erlauben, wenn eine Frau Mückenstiche oder gar eine Zika-Infektion nachweisen könne. Für eine solche Art von "präventiver Abtreibung", spricht sich neben Folha de S. Paulo nun auch O Globo aus. "Wenn die brasilianische Gesetzgebung sich an Ländern orientieren würde, die als zivilisiert gelten, dann könnten Frauen, die heute mit der Angst leben, ein Kind mit Mikrozephalie zur Welt zu bringen, im Namen ihres Selbstbestimmungsrechtes entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen wollen." Bei so großen Unwägbarkeiten angesichts einer unkontrollierbaren Epidemie könnten Schwangeren nicht dazu gezwungen werden, ein Kind auszutragen. Das sei vor allem eine Frage des "Respektes vor der Menschenwürde".

Die katholische Kirche läuft erwartungsgemäß Sturm. Der Anstieg der Fälle von Mikrozephalie im Land könne niemals die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen rechtfertigen. Der entsprechende Antrag an das Verfassungsgericht sei eine "totale Respektlosigkeit gegenüber dem Schutz des Lebens", wird ein Vertreter der brasilianischen Bischofskonferenz in der Tageszeitung Estado de S . Paulo zitiert. Ein Leitartikelschreiber von O Globo hält dagegen: "Das Land sieht sich einem explosiven Drama ausgesetzt, das eine große Zahl von Menschen bedroht, es muss darauf große Antworten finden."

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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