Presseschau:Nuts

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(Foto: N/A)

Der amerikanische Wahlkampf wird immer hitziger. Jetzt diskutieren rechte und linke Kommentatoren in den großen Medien, ob man den republikanischen Kandidaten Donald Trump als "verrückt" bezeichnen darf.

Von Hubert Wetzel

Seit Donald Trump Präsidentschaftskandidat ist, verwenden US-Kommentatoren ein Adjektiv, das sie früher gemieden haben: verrückt. Und es klingt mehr wie eine ärztliche Diagnose als nur wie eine salopp formulierte Beschreibung des Wahlkampfs.

"Wenn man sich so benimmt, als sei man verrückt, denken die Leute eben, man ist verrückt", urteilte die immer lesenswerte konservative Kolumnistin Peggy Noonan jüngst im Wall Street Journal, als sie die Pöbeleien, Ausfälle und Absurditäten beklagte, mit denen Trump sich für vernünftige Menschen unwählbar macht. Noonan, die jedes Wort wägt, bevor sie es hinschreibt, benutzte tatsächlich den medizinischen Ausdruck - insane.

Das war vor Trumps Entscheidung, den führenden Spezialisten für Pöbeleien, Ausfälle und Absurditäten als Wahlkampfleiter anzuheuern: Stephen Bannon, Chef der rechtspopulistischen Website Breitbart News. Das Magazin Bloomberg Businessweek nannte Bannon in einem großen Profil "den gefährlichsten politischen Aktivisten in Amerika". Und in der Geschichte tauchte nach einigen Absätzen prompt das ominöse Adjektiv auf, wenn auch in einer schnodderigeren Variante als bei Noonan - nuts: Der Autor Joshua Green erzählt von einer Party in Bannons Haus in Washington. Die Details sind nicht so wichtig, nur dieser Satz: "Ich schlürfte meinen Drink und fragte mich, wie Leute es oft tun, ob Bannon verrückt ist."

Ein Kandidat, der insane ist, ein Wahlkampfchef, der nuts ist - was kann dabei schon herauskommen? Mehr Wahnsinn. Das zumindest sagen die meisten Beobachter voraus, die gemäßigten unter ihnen mit Schrecken und Abscheu, die rechten hingegen mit einer gewissen Vorfreude. E.J. Dionne, altgedienter und altlinker Kolumnist der Washington Post, ist zwischen beiden Gefühlen hin- und hergerissen. "Wer geglaubt hat, Donald Trumps Wahlkampf sei bisher wild und verrückt gewesen - erst einmal abwarten." Dionne verwendete das klassische Wort - crazy. Er fürchtet den ekligen Wahlkampf, den Trump und Bannon nun entfesseln könnten; zugleich beruhigt er sich mit dem Gedanken, dass Trumps Siegchancen desto schneller sinken, je extremer, je verrückter der Republikaner auftritt.

Den Profis ist all diese politische Ferndiagnostik inzwischen unangenehm. Die American Psychiatric Association, Standesorganisation der Psychiater, erinnerte ihre Mitglieder daran, dass es unethisch sei, jemandem - auch Trump - ohne Untersuchung eine psychische Störung zu bescheinigen. Zuvor hatte der (sehr rechte) MSNBC-Moderator Joe Scarborough gefragt: "Ist Trump ein Soziopath?"

Auch der ehemalige demokratische Abgeordnete Patrick Kennedy, ein Neffe von JFK, warnte in der Washington Post davor, Trump "verrückt" zu nennen. Kennedy hatte einst selbst mit psychischen Problemen und Medikamentenmissbrauch zu kämpfen. Psychische Krankheiten seien eine zu ernste Sache, um sie zu trivialisieren und zu politisieren, schrieb Kennedy.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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