Presseschau:In der Zeitschleife

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(Foto: sz)

Die Medien in der Schweiz befassen sich wieder einmal mit der Initiative zur Masseneinwanderung. Dabei geht es nicht nur um Flüchtlinge, sondern auch um das Verhältnis zur EU. Manche sehen schon die direkte Demokratie in Gefahr.

Ausgewählt von Charlotte Theile, Zürich

Die Schweizer Politik fühlte sich in den vergangenen Jahren immer mal wieder so an, als sei man in einer Zeitschleife gefangen. Ein Ungetüm namens "Masseneinwanderungsinitiative" beherrscht seit Anfang 2014 Medien und Politik - damals nahmen die Schweizer mit knapper Mehrheit eine Initiative an, die im Widerspruch zu den EU-Verträgen des Landes steht. Die Zuwanderung mit Kontingenten zu steuern und gleichzeitig die vereinbarte Personenfreizügigkeit einzuhalten, an diesem Dilemma arbeitet sich Bern seither ab. Die NZZ am Sonntag, die moderne Wochenendversion der traditionsreichen liberalen Neuen Zürcher Zeitung, ließ dazu kürzlich einen altgedienten Diplomaten zu Wort kommen. Er konstatierte einen Verfall der direkten Demokratie: "Noch nie haben Bundesrat und Parlament den Volkswillen so krass missachtet." Die Lösung, der sich die Politik in Bern in diesen Tagen annähert, ist in der Tat ein ganzes Stück von einer aktiven Steuerung der Zuwanderung entfernt. Am Donnerstag verabschiedete der Ständerat eine Vorlage, die den poetischen Namen "verschärfter Inländervorrang light" trägt. Sie soll Unternehmen dazu bringen, ihre offenen Stellen dem Arbeitsamt zu melden und inländische Arbeitslose zum Gespräch einzuladen. Der Effekt auf die Zuwanderung? Ungewiss. Die Verträge mit der EU? Sollen in keinem Fall verletzt werden.

Die rechte Weltwoche schreibt daher vom Untergang der schweizerischen Demokratie. In seinem neusten Editorial zeigt Roger Köppel, der als Abgeordneter der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Weltwoche-Verleger das politische und mediale Establishment des Landes verkörpert, erneut den Gegensatz zwischen Volk und Eliten auf. Zielscheibe seines Zorns ist dieses Mal der FDP-Politiker Philipp Müller, der den jüngsten Ständerat-Beschluss erdacht hat und nun unter der Überschrift "Dumm" eine persönliche Würdigung erfährt. Dumm, Dummheit, Dümmer als dumm, so geht es gut ein Dutzend Mal, sogar eine Duden-Definition des Wortes "dumm" liefert Köppel. Danke dafür.

Wenn im linksliberalen Tages-Anzeiger, der auflagenstärksten Abo-Tageszeitung der Schweiz, ein ehemaliger Bundesrichter darlegt, warum die Umsetzung der Initiative "unbefriedigend", aber nicht verfassungswidrig ist, fällt das Echo deutlich geringer aus. Andererseits: Die Verträge mit Brüssel, die bei der Umsetzung der Initiative auf dem Spiel stehen, haben in der Schweiz großen Rückhalt - und den meisten Bürgern ist bewusst, dass es nicht um einen Showdown zwischen Demokratie und EU-Vorgaben geht. Sondern darum, dass sich zwei demokratisch zustande gekommene Paragrafen widersprechen und die Politik um eine Lösung ringt.

Bei der linken Wochenzeitung WOZ betrachtet man das "große Gaga-Theater", das die SVP nach Auffassung des Blattes veranstaltet, mit einiger Distanz. Die Leser hätten es vermutlich längst aufgegeben, sich mit Vokabeln wie "Inländervorrang light" zu beschäftigen, vermutet man hier - und hat Mitleid mit dem Bundesrat. "Das ist der Trick der SVP: Sie hat dem Bundesrat einen unerfüllbaren Auftrag erteilt, nun kann sie toben, dass er den Auftrag nicht erfülle." An anderer Stelle fragt man sich angesichts der SVP-Politiker, die die "Demokratie zu Grabe getragen" sehen: "Sollte man laut darüber lachen, oder sollte man sich empören, dass eine Gruppe aus erwachsenen Menschen sich so aufführt?" Das Fazit der WOZ: Entschieden wird an der Urne. Seit einem Jahr trommeln SVP-Gegner für eine Initiative, die die Zuwanderungssteuerung zurücknehmen will. Sie heißt: "Raus aus der Sackgasse."

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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