Presseschau:Hart oder weich

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Die Presse des Vereinigten Königreichs debattiert über den Brexit-Kurs von Premierministerin Theresa May: Soll der Bruch mit der EU brutal ausfallen oder nicht?

Von Björn Finke, London

Der Brexit beschäftigt in Großbritannien Richter, Abgeordnete - und Kommentatoren. Der High Court in London, eins der höchsten Gerichte des Landes, verhandelt seit Ende der Woche die Frage, ob die Regierung das Austrittsverfahren in Gang setzen darf, ohne das Parlament vorher um Erlaubnis zu bitten. Die Parlamentarier widmeten dem Thema auch eine Debatte. Dort versprach Premierministerin Theresa May, ihre Brexit-Strategie mit den Abgeordneten zu diskutieren. Doch über den Austritt abstimmen sollen sie nicht.

Das findet den Beifall der konservativen Boulevardblätter, die vor der Volksabstimmung für den Brexit geworben haben. Gewohnt schrill kommentiert der Daily Express die Sache. Das Ansinnen, das Parlament über den Brexit abstimmen zu lassen, sei "schlangenhafter Verrat". Hilfreicherweise schlägt der Autor gleich vor, wie umzugehen sei mit den Verrätern - also den Abgeordneten, die so etwas fordern: "Ich würde sie in den Tower von London schmeißen. Sie wollen uns gegen unseren Willen in der EU einsperren", und darum sollten besser diese Parlamentarier eingesperrt werden. Als Strafmaß schweben der Zeitung vier Wochen Haft in der alten Londoner Burg vor. Da könnten die Politiker "über die wahre Bedeutung von Demokratie nachdenken".

Das Blatt beweist Geschichtsbewusstsein, denn tatsächlich ließen Monarchen im Tower über die Jahrhunderte Verräter einsperren. Dass der Daily Express - und andere EU-feindliche Zeitungen - derart aufgeregt sind, hat einen simplen Grund: Die große Mehrheit der Abgeordneten hat vor dem Referendum für den Verbleib in der Union getrommelt. Brexit-Fans befürchten daher, Premierministerin May würde keine Mehrheit für den Start der Austrittsverhandlungen erhalten.

Das Boulevardblatt Daily Mail macht bereits einen "Komplott" der Pro-Europäer im Königreich aus, die den Volkswillen - also das Resultat des Referendums - untergraben wollten. Die Zeitung ruft die "verbitterten" EU-Freunde auf, ihre "undemokratischen Spielchen" zu stoppen.

Die linksliberale Tageszeitung The Independent hält eine Abstimmung des Parlaments dagegen für nötig, "um die Wunden zu heilen", die das Referendum geschlagen habe. Verweigere die Regierung das, "reibt sie Salz in die Wunden, indem sie sich so verhält, als sei die Volksabstimmung mit 90 zu zehn Prozent für den Brexit ausgegangen". Das Blatt glaubt nicht, dass die Abgeordneten gegen den Beginn der Austrittsverhandlungen stimmen würden: "Sie sind nicht blöd genug, den Wünschen der Wähler zu widersprechen." Allerdings würde die Mehrheit der Parlamentarier wohl verlangen, dass das Königreich nach dem Brexit im Binnenmarkt der EU bleiben solle. Premier May gibt jedoch als Ziel vor, dass das Land nach dem Austritt die Zahl der Einwanderer kontrollieren kann und nicht mehr der EU-Rechtsprechung unterliegt. Das ist unvereinbar mit der Teilnahme am Binnenmarkt.

Die Wirtschaftszeitung Financial Times befürchtet, dass ein derartiger " hard Brexit" den Unternehmen und Banken im Land schaden würde. Die Finanzmärkte hätten Mays Plänen ein "vernichtendes Urteil" ausgestellt. Damit spielt das Blatt auf den Absturz des Pfundkurses in den vergangenen Wochen an. Die Zeitung fordert, dass die Konservative dem Parlament genauer darlegt, was sie in den Verhandlungen mit Brüssel erreichen will und welche Folgen das für die Wirtschaft hat. Das Referendum gebe May zwar "ein Mandat, das Land aus der EU zu führen, aber es existiert kein Konsens darüber, wie der Brexit aussehen soll". May scheine eine "extreme Version" anzustreben, klagt die Zeitung.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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