Presseschau:"Den Kampf annehmen!"

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Naivität und Scheinheiligkeit: Im Kaukasus-Konflikt üben die Kommentatoren zwischen Belgrad und Madrid Kritik am Westen. Die Forderung nach einer härteren Linie gegenüber Moskau zieht sich durch die internationale Presse.

Ein Blick in die Zeitungen

Nachdem der russische Präsident Dimitrij Medwedjew die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien als unabhängig anerkannt hat, kritisiert die internationale Presse den Westen: Zögerlich und naiv sei er bislang Russland gegenübergetreten. Nun fordern die Kommentatoren eine entschlossenere Politik.

In Südossetien feiert man die russischen Anerkennung der abtrünnigen georgischen Provinzen. Der Westen will diese Entscheidung nicht akzeptieren. (Foto: Foto: dpa)

Die rechtsliberale spanische Tageszeitung El Mundo aus Madrid fordert die EU auf, die Integrität Georgiens zu verteidigen: "Wenn jemand noch über die Motive Russlands bei der Entfachung eines Kriegs gegen Georgien gerätselt hat, sind diese Zweifel nun zerstreut. Moskau hatte seine Entscheidung von Anfang an getroffen. Der Schutz der Ossetier vor einem Massaker war nur ein Vorwand, die Panzer in die abtrünnigen georgischen Provinzen einrollen zu lassen. Russland zieht mit militärischer Gewalt die Grenzen im Kaukasus neu. Die westliche Gemeinschaft bietet das peinliche Schauspiel, die Strategie der vollendeten Tatsachen verzagt mitanzusehen. Europa und seine Verbündeten sind verpflichtet, die Integrität Georgiens zu verteidigen. Die EU muss ihren Worten Taten folgen lassen und härtere Maßnahmen gegen Moskau verhängen."

Verdient Russland noch seinen Platz innerhalb der G8?

Die linksliberale Pariser Zeitung Libération fordert konkrete Maßnahmen und stellt Russlands Platz innerhalb der G8 in Frage: "Die Souveränität Georgiens, die in dem sehr holprigen, von Nicolas Sarkozy in Moskau angekündigten Friedensabkommen 'vergessen' worden war, gibt es nicht mehr. Die beiden neuen 'Staaten' gibt es nur dank der Petrorubel und der russischen Truppen. Ob Südossetien oder Abchasien: Die hier wohnenden Georgier wurden zu Tausenden Opfer ethnischer Säuberungen. Ihre Kollaborateur-Regierungen sind mafiöse Geschöpfe der russischen Geheimdienste. Die südossetischen 'Minister' sind russische Generäle im Ruhestand. Was tun vor diesen geschaffenen Tatsachen? Natürlich Moskau verurteilen. Doch mehr noch, eine Debatte über die Beziehungen des Westens mit diesem Russland eröffnen, das seit 20 Jahren als ehrlicher Partner angesehen wird. Nach dem Krieg gegen Georgien muss man nach dem Platz eines Landes in der G8 fragen, das international anerkannte Grenzen bricht. Und nach der Legitimität dieses Landes in demokratischen Instanzen wie dem Europarat."

Die linksliberale polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza setzt auf die Nato, um den Druck auf Russland zu erhöhen: "Die internationale Öffentlichkeit verurteilt heute einstimmig Moskau. Russland ignoriert diese Kritik. Es versucht den Eindruck zu erwecken, dass das heute machtlose Amerika (...) und das unter Altersschwäche leidende Europa der aufstrebenden 'Supermacht' nichts anhaben können. Moskau schaut dem Westen in die Augen und fragt mit zynischem Lächeln: Wir haben Gas, und ihr? Wir sind aber nicht machtlos. Gestrige Verluste an Moskauer Börsen (...) zeigen, wie stark dieses Land vom Westen abhängig ist. (...) Wie stark wir Russlands Verhalten beeinflussen können, hängt davon ab, ob Europa und Amerika solidarisch sagen, dass sie sich mit einer willkürlichen Teilung eines souveränen Landes nicht abfinden. Die Entscheidung über eine baldige Aufnahme Georgiens in den Nato-Partnerschaftsplan (MAP) wäre eine solche Antwort. Georgier hatten zum Jahresanfang in einem Referendum gesagt, dass sie ihr Land in der Nato sehen wollen. Heute ist dieser Wunsch mit Sicherheit noch viel stärker."

Auch die konservative polnische Zeitung Rzeczpospolita fordert ebenso wie die schwedische Zeitung Svenska Dagbladet eine härtere Linie des Westens. In der Rzeczpospolita aus Warschau heißt es: "Georgiens Beispiel zeigt, dass die West-Integration vieler Staaten aus dem ehemaligen Ostblock zu spät in Erwägung gezogen wurde. Das hat zu lange gedauert. Wir haben die 'historischen Ferien' nicht genutzt - die kurze Zeit, als es im Osten keine gefährliche Großmacht wie Russland gegeben hatte. Das ist aber noch nicht das Ende. Moskau wird immer stärker. Die von den westlichen Politikern bevorzugte Politik der netten Gesten gegenüber Russland - Schlittenfahrten, Saunabesuche und lukrative Verträge - hat versagt. Russland ist ein Staat, der unter jedem Vorwand seine Nachbarn angreifen kann. Einen solchen Staat lädt man nicht in die elitären Vereine ein und lässt ihn nicht leichte Geschäfte machen. Das ist eine andere gefährliche Welt. Die Politiker im Westen müssen daran denken."

Die konservative schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet aus Stockholm meint: "Zu wenig, zu leise, mit allzu viel Verständnis und entschuldigend. So lassen sich die Reaktionen der Umwelt auf Russlands Angriff gegen Georgien zusammenfassen. Jetzt nach der Anerkennung der abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien als selbstständigen Staaten bedarf es einer wesentlich schärferen Politik, um der russischen Herausforderung zu begegnen. Die Lehre besteht darin, dass Wladimir Putin sich keinen Deut um substanzlose Appelle und Warnungen von außen schert. Der Begriff Offensive trifft das russische Agieren wohl am besten. (...) Wir müssen bereit sein, diesen Kampf anzunehmen, auch wenn er heißer wird. Alles andere würde bedeuten, dass Georgien im Stich gelassen und der Weg für noch mehr aggressive russische Machtpolitik freigemacht wird."

Die République du Centre aus dem mittelfranzösischen Orléans kritisiert, dass auch der Westen durch gezielte Provokationen zur Eskalation beigetragen habe: "Eines ist sicher: Russland, das wir während der Olympischen Spiele vergessen hatten, nutzte die Situation, um seine Muskeln woanders zu zeigen. Das Schlimmste ist, dass Moskau bei seinen Eroberungsträumen unterstützt wurde - durch unverzeihliche Ungeschicklichkeiten. Indem er die Feindseligkeiten einleitete, hat der georgische Präsident Michail Saakaschwili selbst die Peitsche hingehalten, mit der er dann geschlagen wurde. Die EU hatte im Februar mit der Anerkennung des Kosovo das rote Tuch geschwenkt. Die USA schließlich haben den russischen Komplex angestachelt, indem sie die Aufstellung eines Raketenschildes in Polen ankündigten."

Das satirische Wochenblatt Le Canard enchainé aus Paris wirft dem französischen EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy Versagen in der Kaukasus-Krise vor: "Das Dokument, das unser Omnipräsident der Europäischen Union zu Georgien unterzeichnen ließ, ist kein Jahrhunderterfolg der Diplomatie. Die Russen haben mit beiden Händen unterschrieben, aber sie machen einen Rückzieher, wann immer sie wollen und wie immer sie wollen. Sie nutzen die Begriffe der Waffenruhe aus, um ihre Präsenz und den Druck aufrechtzuerhalten. Und sie profitieren vom Deckmantel der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens, um ihre Karten auszuspielen. Angesichts der wenigen Druckmittel läuft der neue EU-Gipfel Gefahr, daran nichts zu ändern. Doch für den Generalissimus Sarkozy zählen nicht die mehr oder weniger langfristigen Ergebnisse, sondern die Strategie. Und er wählt im Krieg wie zu Hause diejenige, die immer die seine war: Ein Bild jagt das andere. Der Clausewitz der Medien ist jeden Tag an der Front. Man hat keine Zeit, sich der einen zuzuwenden, da ist er schon an der anderen."

Mögliche Fehlkalkulation im Kreml

Die national-konservative Belgrader Zeitung Politika kritisiert die westliche Haltung als "scheinheilig" - und vergleicht den Status der jetzt unabhängigen, früheren südserbischen Provinz Kosovo mit der russischen Anerkennung der Unabhängigkeit der georgischen Gebiete: "Russland hat Süd-Ossetien und Abchasien in dem Augenblick anerkannt, in dem die USA und die Mehrheit der EU das Kosovo anerkannt haben, und nach dem unüberlegten Angriff Georgiens auf Süd-Ossetien (...) Damit wird die Scheinheiligkeit der westlichen Politiker deutlich, die sich gestern an die Grundsätze des internationalen Rechts und die Unantastbarkeit der anerkannten Grenzen erinnert haben - jene Grundsätze, die sie im vergangenen Februar vergessen hatten, als Pristina die Unabhängigkeit der Provinz Kosovo ausgerufen hat."

Die Basler Zeitung glaubt, dass Russland mit seinem aktuellen Kurs den georgischen Präsidenten eher im Amt halten als ihn stürzen könnte: "Der Kreml könnte sich verrechnen. Georgiens politisch unfähiger Präsident hätte einen möglichst schnellen Abgang von der politischen Bühne verdient. Stattdessen hilft ihm Moskaus neoimperialistische Arroganz wieder in den Sattel. Das Vorgehen dürfte andere Ex-Sowjetrepubliken ermuntern, ihr Heil in der Abkehr von Russland zu suchen. (...) Und kommt nicht nur George W. Bush, sondern auch sein Nachfolger zum Schluss, dass Russlands Vorgehen nicht tatenlos hingenommen werden darf, kann sich die Rechnung des Kreml als grobe Fehlkalkulation herausstellen."

Der Nato-Botschafter Dimitri Rogosin hatte Parallelen zum Attentat auf den österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und den Ausbruch des ersten Weltkriegs gezogen. Für die links-liberale ungarische Tageszeitung Nepszabadsag ist das Anlass, zu kommentieren: "Der russische hat die derzeitige Situation mit der Lage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verglichen und Saakaschwili mit Gavrilo Princip, dem Mörder des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo. Wir wissen aber aus der Geschichte, dass nicht das Attentat den Krieg zum Ausbruch brachte. Dafür waren kriegsbereite und zum Kompromiss unfähige Großmächte notwendig, die sich sicher waren, dass sie ihren Gegner niederringen. Diese Haltung sehen wir jetzt in Russland."

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