Porträt:Ukrainischer Boxer im Clinch mit dem Regime

Lesezeit: 2 min

Wladimir Klitschko schlägt sich auf die Seite der Opposition: "Wer foult, wird disqualifiziert."

Von Frank Nienhuysen

Kurz bevor er zulangte, schwoll der Applaus der Massen bereits an. Es war der Moment, als Wladimir Klitschko auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew die Bühne betrat, vor sich Zehntausende Menschen, die den Boxer diesmal gar nicht einmal siegen sehen wollten, denn sie waren ja selber in einen Kampf gezogen - in den Kampf für Demokratie.

Kämpft für die Demokratie: Wladimir Klitschko. (Foto: Foto: AP)

Sie wollten ihn hören, also hob Klitschko die rechte Hand zum Gruß, trat ruhig ans Mikrofon, Schneeflocken senkten sich auf den schwarzen Ledermantel, und dann sagte er: "In der Politik ist es wie im Sport: Wer foult, wird disqualifiziert. Deshalb muss das Ergebnis dieser Wahl annulliert werden."

Stürmischer Jubel. Treffer. Der Schlag saß.

Am Montag noch hatten Wladimir Klitschko und sein Bruder Vitali in einem Trainingscamp in Los Angeles für ihre Fitness gekämpft. Dann hörten sie über Radio, Fernsehen und von Freunden, wie viel in ihrem Heimatland Ukraine auf dem Spiel steht. "Wir haben uns immer für einen offenen und demokratischen Wahlprozess eingesetzt. Was wir allerdings jetzt mitgeteilt bekamen, ist leider das konkrete Gegenteil", erklärten sie.

Also flog Wladimir Klitschko zurück nach Kiew, in seine Heimatstadt, wo er einst beim Armeesportclub seine Weltkarriere startete. Er verfüge als Sportidol in der Ukraine über einen gewissen Einfluss, sagte er.

Für seinen Auftritt vor den Kiewer Demonstranten hat Wladimir Klitschko extra eine orangefarbene Krawatte angezogen, dazu trug er einen orangefarbenen Schal, die Insignien des demokratischen Lagers. Wie sein Bruder hofft auch Wladimir Klitschko, dass es der prowestliche Viktor Juschtschenko doch noch schafft, Präsident der Ukraine zu werden.

Bescheiden, freundlich, gern gesehen

Klitschko ist, wie auch sein um fünf Jahre älterer Bruder, die Antithese zu der typisch großmäuligen Boxerriege, die weltweit das Image der Sportart bestimmen. Bescheiden wirkt er, stets freundlich, und wohl deshalb auch ist er gern gesehener Dauergast in deutschen Fernsehtalks.

Nie hat sich der 28-Jährige nur für seinen Sport interessiert, obwohl er dabei alles gewonnen hat: 1996 Olympia-Gold in Atlanta, das erste für die Ukraine, und pikanterweise war sein stärkster Rivale ein Russe, den er dann im Halbfinale bezwang. Vier Jahre später wurde er Weltmeister. Wladimir Klitschko setzt sich für karitative Zwecke ein, ist gemeinsam mit seinem Bruder Pate eines Heims für rumänische Straßenkinder.

In Kiew studierte er Sportwissenschaften und schloss das Studium vor vier Jahren sogar mit der Promotion ab. "Dr. Faust" wird er nun genannt, auf einen Pakt mit Viktor Janukowitsch allerdings wollte er sich trotz eines Angebots nicht einlassen.

In der Ukraine ist Klitschko ein großes Idol, er liebt seine Heimat, und hat sich doch stets davor bewahrt, ein glühender Nationalist zu werden. Dazu lebt er wohl zu gern auch in Deutschland, das er als seine zweite Heimat bezeichnet hat. Die ukrainische Staatsbürgerschaft allerdings, das hat er einmal gesagt, die würde er nicht aufgeben. "Im Gegenteil: Wir können uns sogar vorstellen, später Bürgermeister oder Politiker in Kiew zu werden. So können wir unserem Land am besten helfen."

© SZ vom 26.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: