Politische Schmähungen:Ästhetische Nostalgie

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"Der Westerwelle schaut sich nur noch Männer an / und die Merkel will eh keiner ham" dichtet die WASG auf ihrer Homepage. Im Treibhaus Berlin liegen die Nerven blank. Oder ist vielleicht jede Entgleisung wohlkalkuliert?

Von Alex Rühle

Momentan geht es recht enthemmt zu in Berlin. Joschka Fischer vergleicht Oskar Lafontaine mit Jörg Haider. Der brandenburgische SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness beschimpft den ehemaligen Parteikollegen als "Hassprediger".

Im Bundestag gibt es nicht nur nett gemeinte Zwischenrufe. (Foto: N/A)

Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) dichtet auf ihrer Homepage die eher lausigen Zeilen: "Der Westerwelle schaut sich nur noch Männer an / und die Merkel will eh keiner ham".

Und der SPD-Spitzenkandidat im Saarland Ottmar Schreiner bezeichnet auf dem Landesparteitag seiner Partei Guido Westerwelle als "Dr. Föhn" und "Dr. Schwesterwelle".

In jedem zweiten Artikel über solche rhetorischen Entgleisungen heißt es, die Nerven bei allen Beteiligten lägen momentan blank. Das leuchtet ein:

Die neue Linkspartei wirbelt alle demoskopischen Sicherheiten durcheinander. Alle warten auf den Urteilsspruch des Bundespräsidenten.

Gibt es Neuwahlen oder nicht? Im Treibhaus Berlin sind momentan eben alle etwas überempfindlich, Sie wissen schon, die Hitze des Gefechts, da rutscht einem schon mal das eine oder andere Wort heraus. Aber stimmt das denn?

Oder ist umgekehrt jede Entgleisung wohlkalkuliert gemäß der Einsicht des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer, der sagte, mit Inhalten könne man ohnehin keine Wahlen mehr gewinnen.

Ein Schlagwort sagt mehr als tausend Parteiprogramme. Einiges spricht für diese Theorie. Es wirkt, als hätte jemand über dem ganzen Land ein Aschermittwochszelt aufgestellt und jetzt wird so launig wie lauthals um die Lufthoheit über den Biertischen gestritten.

Man muss keine radikal postmodernen Werke über die sprachliche Herstellung von Wirklichkeit gelesen haben, um zu wissen, dass Lafontaine, wenn ihm erst einmal das Label vom Hassprediger anklebt, sagen kann, was er will, er ist und bleibt dann in der Vorstellung der Wähler ein gemeingefährlicher Radikaler. Da kann sich der brandenburgische Landesgeschäftsführer der SPD noch so oft bei ihm entschuldigen.

Düffel-Doffel! Übelkrähe!

Was jedenfalls nicht stimmt, ist die wehmütig geseufzte Behauptung, dass es früher so viel besser bestellt gewesen sei um die politische Rhetorik.

Der Historiker Arnulf Baring merkte vor vier Jahren anlässlich der damaligen Aschermittwochsbeschimpfungen an, im Unterschied zu früher habe das "Niveau der Beschimpfungen" leider beträchtlich gelitten.

In eine ähnliche Kerbe haute der SPD-Veteran Egon Bahr, als er sagte, die heutigen Vorwürfe seien ohne tiefere Substanz und zielten nur aufs Privatleben statt auf die Politik: "Wenn jemand beschuldigt wird, er schlafe mit vielen Frauen, ist das zwar eine Diffamierung, aber das ist höchstens Verrat am Partner, das Land kann damit leben."

Das stimmt. Das Land musste aber früher ebenfalls mit solchen Diffamierungen leben. Es hat etwas enthemmt Populistisches, wenn heterosexuelle Politiker wegen ihrer Politik angegriffen werden, Westerwelle hingegen parteiübergreifend persönlich diffamiert wird.

Als aber Willy Brandt 1961 zum ersten Mal für das Amt des Bundeskanzlers kandidierte, wurde er landauf landab spitzfingrig als "ein gewisser Herr Frahm" bezeichnet, womit auch auf die Tatsache angespielt wurde, dass er ein uneheliches Kind war.

Und Helmut Kohl unterbrach Hertha Däubler-Gmelin einmal im Bundestag im Ton des launigen Tresenremplers: "Wenn ich Sie betrachte, verstehe ich, dass Sie für die Gleichberechtigung der Männer eintreten." Ist das weniger kleinkariert als die erbärmlichen Zeilen auf der WASG-Homepage?

Auch Barings Beobachtung vom Niveauverlust der politischen Schmährede, die heute nur noch "auf trostlose Weise durchschnittlich" sei, klingt nach ästhetischer Nostalgie. Das Niveau ist seit Jahrzehnten konstant niedrig.

Gut, es gab die großartigen Politrabauken Wehner und Strauß, die in ihren Attacken neologistische Beschimpfungen wie die "Übelkrähe" oder den bis heute enigmatisch schillernden "Düffel-Doffel" erfanden.

Und Joschka Fischer konnte in seiner präministeriellen Zeit auch ausgesprochen kreativ austeilen. Aber die große Mehrheit der Zwischenrufe, die im Bundestag mit einem Ordnungsruf geahndet wurde, war immer eher Konfektionsware: Hetzer, Heuchler, Sauhaufen. Nilpferd, Lümmel, Hasenfüße...

Unheimlich ist eher der Ton, mit dem zuweilen auf empörte Reaktionen geantwortet wird. Als Hasso Müller-Kittnau, der saarländische Landesvorsitzende des Lesben- und Schwulenverbandes, Ottmar Schreiner wegen seiner Westerwelle-Schmähungen zur Rede stellte, antwortete dieser achselzuckend: Dr. Föhn und Dr. Schwesterwelle sei doch nicht diskriminierend.

Es heißt ja oft, political correctness sei zur bloßen Rhetorik und verlogenen semantischen Verrenkungsübung verkommen, die inzwischen so antiquiert wirke wie Batikbeutel.

In Gesellschaft Ottmar Schreiners sehnt man sich nach politisch korrekt bedruckten Batikbeuteln zurück. Das Grinsen, das einem aus seiner Antwort entgegenlacht, erinnert an die Jugendlichen, die kürzlich auf einem Münchner Schulhof von einem Lehrer zur Rede gestellt wurden, weil sie einander als "Jude", "Nigger" und "Opfer" beschimpft hatten.

Die drei verstanden nicht, was der Lehrer von ihnen wollte: So beschimpfe man einander nunmal heutzutage.

© SZ vom 21.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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