Politiker des Jahres 2011:Wer Deutschland auf- und angeregt hat

Das Jahr hatte es in sich: Guttenberg stürzt und kommt wieder, Steinbrück reitet eine Welle der Aufmerksamkeit. Kretschmann versetzt die Grünen in einen Rausch, der für Künast böse endet. Wulff muss kämpfen und der Pirat überrascht alle anderen. Doch welcher Politiker hat Deutschland 2011 wirklich verändert? Stimmen Sie ab!

Thorsten Denkler und Michael König

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Former German Defence Minister zu Guttenberg attends a joint news conference in Brussels

Quelle: Reuters

Das Jahr hatte es in sich: Guttenberg stürzt und kommt wieder, Steinbrück reitet eine Welle der Aufmerksamkeit. Kretschmann versetzt die Grünen in einen Rausch, der für Künast in einer Pleite endet. Wulff muss kämpfen und der Pirat überrascht alle anderen. Doch welcher Politiker hat Deutschland 2011 wirklich verändert? Stimmen Sie ab!

 

Karl-Theodor zu Guttenberg

So schnell lässt sich ein Baron nicht unterkriegen. Schon gar kein Freiherr von und zu Guttenberg. Was waren das noch für Zeiten, als nur über vielen Vornamen gewitzelt wurde. Es sah schon so aus, als könne ihn niemand auf dem Weg ins Kanzleramt stoppen.

Heute lacht die Welt über Guttenberg. Über seinen durcheinandergewürfelten Disketten-Stapel, der ihn ja angeblich dazu genötigt hat, nicht alles in seiner Doktorarbeit fachgerecht zu zitieren. Oder sein Comeback-Versuch, bei dem er erst sämtliche Staatslenker Europas für zu schwach erklärt, dann auf die CSU eindrischt und sich schließlich von der EU-Kommission als Berater in Internetfragen verpflichten lässt. Aber gut, letzteres passt ja hervorragend zu ihm. Copy und Paste gehören im Internet zu den Grundkenntnissen. Und damit kennt sich Guttenberg ja wirklich aus.

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Politiker des Jahres 2011:Angela Merkel

Kabinettssitzung Berlin

Quelle: dpa

Gut, dass das Wahlverhalten vieler Menschen vom Kurzzeitgedächtnis gesteuert wird. Das kann Angela Merkel noch manche Wählerstimme retten. Und davon wird sie 2013 jede einzelne brauchen, wenn sie weiter die Mutti der Nation geben will.

In der Euro-Krise jedenfalls hat die Kanzlerin so oft die Position gewechselt, dass selbst erfahrenen Beobachtern mitunter schwindelig wurde. Schuldenschnitt für Griechenland? Hat sie das nicht vor ein paar Wochen noch kategorisch ausgeschlossen? Oder die Hebelung des Euro-Rettungsschirms EFSF von 440 Milliarden auf fast eine Billion Euro? Das war doch kurz zuvor noch Teufelszeug?!

Merkel ist das alles mit erstaunlicher Konsequenz egal. Sie sagt, was das Volk hören will. Entscheidet aber komplett anders. Richtig übel nehmen ihr das die Wähler nicht. Abgestürzt ist dabei nur ihr liberaler Koalitionspartner. Aber wenn es um Koalitionspartner geht, hat sie noch jeden kleingekriegt. Die SPD kann ein Lied davon singen.

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Politiker des Jahres 2011:Gesine Lötzsch

Bundesparteitag der Linken in Erfurt

Quelle: dpa

Gesine Lötzsch gehört nicht gerade zu den Politikerinnen, die Glanzpunkte auf Parteitagen setzen können. Dabei ist sie Parteivorsitzende der Linken. Das ist einer größeren Öffentlichkeit erst gewahr geworden, als sie in einem Aufsatz "Wege zum Kommunismus" aufzeigte. Das hätte zu einem spontanen Aufflammen eines kalten Krieges führen können, wäre die Linke da noch eine relevante politische Kraft gewesen. Doch Lötzsch und ihr Kompagnon an der Parteispitze, Klaus Ernst, hatten es bis dahin schon geschafft, den Höhenflug der Linken zu stoppen und die Deutungshoheit in sozialen Fragen fast vollständig einer SPD-Frau namens Manuela Schwesig zu überlassen.

Die ganz Linken à la Lötzsch haben in einer so ausweglosen Situation aber einen klaren Vorteil: Angesichts der aktuellen Krise des Kapitalismus drängt sich der Eindruck auf, der Kommunismus werde kommen - so oder so. Ob Lötzsch dann noch Vorsitzende ist, ist allerdings fraglich. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht proben schon den Paarlauf an die Parteispitze.

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Politiker des Jahres 2011:Philipp Rösler

FDP-Spitze zu Mitgliederbefragung

Quelle: dpa

Philipp Rösler galt mal als Naturtalent. In Niedersachen, jenem Land, aus dem so erfolgreich netzwerkende Persönlichkeiten wie Gerhard Schröder und Christian Wulff stammen, hat er seine steile Karriere begonnen. Landeschef der FDP, Fraktionschef im Landtag, Wirtschaftsminister des Landes, Bundesgesundheitsminister und schließlich Bundeswirtschaftsminister.

Mit seiner Wahl zum Parteichef hat er sich außerdem zum obersten liberalen Lieferanten ausgerufen. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Alle Wahlen unter Rösler gingen krachend verloren, Steuersenkungen gibt es kaum, und beim Mitgliederentscheid zur Euro-Rettung hat er höchst persönlich die Koalition in Gefahr gebracht. Zuletzt hat er dann das einzige verbliebene Talent der Partei, Christian Lindner, dazu gebracht, entnervt aufzugeben.

Jetzt macht Rösler mit Patrick Döring einen Mann zu Lindners Nachfolger, den wohl nur die letzten verbliebenen Neoliberalen für einen Sympathieträger halten. Unter Westerwelle lag die FDP zuletzt bei etwa fünf Prozent. Jetzt, unter Rösler, liegt die Partei bei knapp zwei Prozent. Rösler kann seine Wähler bald einzeln per Handschlag begrüßen. Immerhin: So ist eine völlig neue Art der Basisnähe möglich. Aber wer weiß, wie lange Rösler daran noch Spaß haben wird.

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Politiker des Jahres 2011:Peer Steinbrück

Steinbrück hält Antrittsvorlesung an der Uni Leipzig

Quelle: dpa

Peer Steinbrück will Kanzler werden, so viel ist sicher. Auch wenn er das nur den SPD-Altkanzler Helmut Schmidt so deutlich sagen lässt. Steinbrück kann es, sagt Schmidt. Anders gesagt: Steinbrück kann alles - außer bescheiden. Und so verteufelt er die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung in einer Weise, als könne nur er allein den Euro, die Banken und die ganze Europäische Union gleich mit retten. Steinbrück hat kein Parteiamt inne, er ist einfacher Bundestagsabgeordneter, und trotzdem ist er omnipräsent. Steinbrück reitet eine Welle der Aufmerksamkeit.

Die Bürger finden das mehrheitlich toll. Seine Parteifreunde von der SPD nicht so sehr. Auf dem Parteitag in Berlin bekam er nur mäßigen Applaus. Ob ihn die Welle bis 2013 trägt, bleibt abzuwarten.

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Politiker des Jahres 2011:Christian Wulff

Olaf Glaeseker, Presidential Speaker, To Quit

Quelle: Getty Images

Das Jahr verlief relativ ruhig für den Bundespräsidenten. Mit seiner Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, verdiente er sich Respekt. Auch die Bereitschaft, die Opfer der rechten Terrorzelle NSU zu empfangen, trug dazu bei. Dazu ein paar Glamourgeschichten in Gala und Bunte mit seiner Glamour-Frau Bettina. Und das Volk war zufrieden mit seinem Präsidenten.

Doch die Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln. Und eine hannoversche Vergangenheit schon mal gar nicht. In das Amigo-Netz vom Maschsee aus Geschäftemachern und Politikern hat sich auch der damalige Ministerpräsident Wulff gerne einspinnen lassen. Von einer befreundeten Unternehmerfamilie nahm er einen Privatkredit über 500.000 Euro an. Finanzjongleur Carsten Maschmeyer spendierte im Wahlkampf 2008 eine Anzeigenkampagne für das Wulff-Buch "Besser die Wahrheit" - von der Wulff nichts gewusst haben will.

Jetzt muss Wulff um sein Amt kämpfen. Er hat sich für den Umgang mit der Affäre entschuldigt, aber der Opposition reicht das nicht. Wulff will weiter "gewissenhaft" und "mit voller Kraft" sein Amt ausüben. Ob das gelingt?

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Politiker des Jahres 2011:Renate Künast

Landesparteitag Berliner Grüne - Künast

Quelle: dpa

Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag hat ein Lieblingsbild, das sie in beinahe jede ihrer Reden einbaut: Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Vielleicht sagt Künast das so oft, weil sie selbst in dieser Disziplin Meisterschaft erlangt hat. Vor einem Jahr hatte sie sich noch als Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin ausrufen lassen. Die Grünen waren wie im Rausch. Bei mehr als 30 Prozent wurden sie in Umfragen gehandelt. Künast dachte dann offenbar, es reiche, in Bürgermeisterin-Manier von Plakaten herabzulächeln. Was ihr manche Grünen-Sympathisanten in Berlin besonders übelgenommen haben: Sie hätte es sogar mit der CDU probiert, um ins Rote Rathaus einziehen zu können.

Übrig bleibt zwar ein historisch gutes Wahlergebnis, doch als letztlich dritte Kraft sprang am Ende nicht mal die als sicher geglaubte Regierungsbeteiligung heraus. Der gefühlte Misserfolg hat ihr das Leben auch im Bund schwer gemacht. Sie bleibt zwar Fraktionschefin im Bundestag. Doch der wahre Chef ist seit der Berlin-Wahl ihr Co-Vorsitzender Jürgen Trittin.

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Politiker des Jahres 2011:Winfried Kretschmann

Jahreswechsel - Wahl Baden-Württemberg

Quelle: dpa

Eigentlich war es ein leichtes Spiel. Ministerpräsident Stefan Mappus hatte den Stuttgart-21-Gegnern den "Fehdehandschuh" hingeworfen. Er hatte späte Reue über die Gewalt im Schlosspark am "Schwarzen Donnerstag" gezeigt. Er hatte den Energiekonzern EnBW am Parlament vorbei gekauft und in Atomenergie investiert, kurz vor Fukushima. Gegen so einen wie Mappus hat es eigentlich jeder Herausforderer leicht.

Aber Winfried Kretschmann, 63, trat nicht irgendwo als Spitzenkandidat der Grünen an, sondern in Baden-Württemberg. Jenem Bundesland im Südwesten, das die CDU seit 58 Jahren regiert hatte, als gehöre ihr das Land. Kretschmann sagte stets, das Amt müsse zum Manne kommen, "nicht der Mann zum Amt". Das ist dem katholischen Schützenbruder, der bisweilen so gar nicht zu seiner Partei passt, gelungen. Bei der Landtagswahl im März kamen die Grünen auf 24 Prozent. Kretschmann wurde der erste grüne Ministerpräsident überhaupt.

Das hat er jetzt davon: Einen aufmüpfigen Koalitionspartner mit Minderwertigkeitskomplex, die SPD. Sowie den Protest der hartnäckigen S21-Gegner, die auch nach der erfolglosen Volksabstimmung gegen das milliardenschwere Bahnprojekt weiterhin vor der Baustelle campieren. Wenn die Kosten nicht noch explodieren, kommt der Bahnhof. Wenn Landesgroßvater Kretschmann ihn 2019 eröffnen kann, hat er alles richtig gemacht.

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Politiker des Jahres 2011:Der Pirat

Jahresrueckblick Berlin 2011

Quelle: dapd

Bei den Etablierten wird sich inzwischen manch einer wünschen, die Jugend sei tatsächlich politikverdrossen. Ist sie aber nicht. Zumindest nicht der Teil, der die Piratenpartei unterstützt. Wie aus dem Nichts haben die Netzaktivisten bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin 8,9 Prozent erreicht. Bundesweit stehen sie in Umfragen bei bis zu neun Prozent.

Ein neuer Politiker-Typus ist geboren. Ein Pirat gibt zu, wenn er etwas nicht weiß. Und dann macht er sich schlau und twittert, bloggt, redet darüber. Er steht für den freien Zugang zum Netz ein, für Netzneutralität. Und für viele andere Dinge, die nicht mit "Netz" beginnen. Was ihm viele aber nicht recht glauben. Vor allem nicht die Konkurrenz.

Die steht nun noch mehr im Verdacht, viel zu reden, dabei aber nicht schlauer zu werden. Das gilt sogar für die Grünen, die lange für sich in Anspruch genommen haben, hip zu sein und die Jugend zu vertreten. Sie wollen nun aktiver werden, was die Netzpolitik betrifft. Die Union ebenso. Die SPD auch. Für den Moment haben die Piraten deshalb schon gewonnen. Bleibt abzuwarten, was der Politbetrieb aus den herrlich naiven, ehrlichen Piraten macht.

© sueddeutsche.de
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