Polens Präsident Lech Kaczynski:Der einsame Zwilling

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Wie Polens unbeliebtes Staatsoberhaupt Lech Kaczynski Volksnähe demonstrieren wollte - und sich mit einem allzu durchsichtigen Manöver blamierte.

Thomas Urban, Warschau

Der Dienstag war ein schlechter Tag für den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski. Ursprünglich hatte er zur Halbzeit seiner Präsidentschaft einen starken Akzent setzen wollen. Deshalb hatte er sich in einem Interview als Verteidiger der Interessen seiner Landsleute gegen den großen, anonymen EU-Apparat dargestellt.

Die Zwillinge auf dem Gipfel der Macht: Präsident Lech Kaczynski (li.) ernennt 2006 seinen Bruder Jaroslaw zum Premierminister (Foto: Foto: AP)

Er hatte angekündigt, den EU-Reformvertrag nicht zu unterzeichnen. Dieser starke Spruch richtete sich auch gegen seinen innenpolitischen Rivalen, den liberalkonservativen Regierungschef Donald Tusk. Der möchte nämlich den Vertrag möglichst rasch umgesetzt sehen.

Die hinter Kaczynski stehenden Medien, allen voran die nationalkonservative Tageszeitung Rzeczpospolita, hatten in den vergangenen Tagen unterstrichen, dass die meisten EU-Bürger den Vertrag gar nicht verstünden - mit anderen Worten: Tusk mache Politik für eine kleine Elite.

Doch am Abend durchkreuzte kein geringerer als Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy das durchsichtige Konzept der Berater Kaczynskis, ihn als volksverbundenen Präsidenten gegen den elitären Tusk zu inszenieren. Sarkozy erklärte ohne die übliche diplomatische Rücksicht, Kaczynski und dessen Zwillingsbruder Jaroslaw, damals Regierungschef, hätten den Vertrag im vergangenen Jahr ja mitausgehandelt.

Kalte Dusche aus Paris

Dieser muss die Meldungen aus Paris wie eine eiskalte Dusche empfunden haben und ruderte schnell zurück. Er sei falsch verstanden, seine Äußerungen seien zugespitzt worden. Selbstverständlich werde Warschau nicht den EU-Vertrag blockieren - wenn denn alle anderen ihn akzeptierten.

Es war eines der für Kaczynski typischen PR-Desaster. Er will sich als starker Verteidiger der Interessen Polens präsentieren und muss dann einen Rückzieher machen. Dabei hätte er einen Erfolg dringend nötig.

Den jüngsten Umfragen musste er entnehmen, dass noch nie ein polnischer Staatspräsident zur Hälfte seiner Amtszeit so schlechte Werte hatte: Nur noch knapp 25 Prozent der Befragten wollen ihn wiederwählen, während fast drei Viertel ihm bei den nächsten Präsidentenwahlen im Spätherbst 2010 mit Sicherheit nicht ihre Stimme geben wollen. Es müsste also ein Wunder geschehen, so sagen die Warschauer Experten für Politiker-PR, wolle er das Rennen noch einmal gewinnen.

Überraschend hatte Lech Kaczynski im Herbst 2005 den favorisierten Tusk besiegt, so wie die von seinem Zwillingsbruder geführte nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit' (PiS) bei den Parlamentswahlen einen Monat zuvor unerwartet zur stärksten Partei geworden war.

Schon seit Kindertagen gab Jaroslaw (li.) den Ton an: die Kaczynski-Zwillinge beim Brote-Essen im Jahre 1961 (Foto: Foto: dpa)

Die Zwillinge verkündeten nach ihrem Doppelsieg eine "moralische Revolution": Sie wollten mit der Korruption aufräumen und die kommunistische Vergangenheit endlich aufarbeiten lassen. Sie sahen - nicht zu Unrecht - einen Zusammenhang zwischen beidem: Vor allem Seilschaften ehemaliger Partei- und Geheimdienstkader sind die großen Gewinner der Marktwirtschaft.

Überdies setzten die nur 1,58 Meter großen Zwillinge in der Außenpolitik auf Konfrontation - vor allem mit den deutschen Nachbarn. Sie wurden nicht müde, diesen im Zuge ihrer "Geschichtspolitik" Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg vorzuhalten.

Auch verlangten beide eine Sonderrolle Polens in der EU als "Opfernation", deren weitere Integration sie gemeinsam blockieren wollten. Weltweites Aufsehen erregte, dass der offenkundig ratlose Lech Kaczynski auf einem EU-Gipfel per Handy von seinem Bruder Jaroslaw in Warschau Anweisungen für die Verhandlungen erbat.

Einsam im Präsidentenpalast

Im Herbst 2007 aber verlor der Premierminister, der Politik als permanente Konfrontation versteht, die Parlamentswahlen und somit sein Amt. Sein Nachfolger wurde der von ihm immer wieder attackierte "Euroschwärmer" Tusk. Jaroslaw Kaczynski ist seitdem Oppositionsführer, und sein Zwillingsbruder Lech "leidet an der Einsamkeit im Präsidentenpalast", wie es die liberale Polityka formuliert.

Der Präsident ist nun der offenkundig schwächere Partner in einer auf Konfrontation angelegten Kohabition mit Tusk. Einige Warschauer Kommentatoren wollen sogar ausgemacht haben, dass das Staatsoberhaupt sich nun noch unwohler in seinem Amt fühlt als zu der Zeit, als sein Zwillingsbruder noch als Premier alle Fäden der Macht in der Hand hielt.

Seit den Kindertagen der Zwillinge ist bekannt, dass Jaroslaw der Chef ist, der sich durchsetzt, der Ideen hat, der selbstbewusst auftritt. So kann Jaroslaw seine Anhänger mit frei gehaltenen, feurigen Reden begeistern.

Lech aber wirkt immer gehemmt, verhaspelt sich oft beim Ablesen vom Blatt oder Teleprompter. Außerdem nuschelt er, worüber sich die Boulevardmedien wiederholt lustig gemacht oder beschwert haben.

Seine Berater haben bislang kein Rezept, wie sie den Präsidenten aus dem Umfragetief herausholen könnten. Mal haben sie versucht, ihn nach französischem Vorbild als eine Art demokratischen Monarchen und Feldherrn zu inszenieren: Fototermine im prachtvollen Präsidentenpalast, bei der Abnahme von Militärparaden, bei der Ernennung von Generälen.

Doch nur ein Teil der Medien druckt die sorgfältig arrangierten Bilder, die Mehrheit bevorzugt andere Schnappschüsse: Wie er zum Beispiel auf dem Präsidentensessel sitzt und seine Füße nicht zum Boden reichen oder wie er selbst das große Portal zum Empfangssaal öffnet, die Türklinke in Kinnhöhe. Die Botschaft der Bilder: Der ist seinem Amt nicht gewachsen.

Auch ein Wechsel der PR-Strategie schlug sich bislang nicht positiv nieder: Der Präsident als netter Kumpel. So feierte er kürzlich seinen 30. Hochzeitstag mit seiner Frau Maria in einer Warschauer Kneipe, ohne Schlips und Kragen und keineswegs abgeschirmt von den anderen Gästen.

Charmant im kleinen Kreis

Doch war die Inszenierung des volksverbundenen Präsidenten in den Augen der Mehrheit der Kommentatoren zu offenkundig, als dass sie etwas am Bild des verschlossenen und unsicheren Kaczynski hätte ändern können.

Dabei berichten nicht nur seine Verbündeten, sondern auch Politiker der Opposition, dass Lech Kaczynski in kleinem Kreis nicht nur gelöst und charmant sein kann, sondern dass er auch ein exzellenter Witzeerzähler sei - wie auch sein Zwillingsbruder Jaroslaw.

Der Präsident, der vor seinem Einstieg in die Politik Juraprofessor war, besticht immer wieder durch seine Allgemeinbildung, durch sein Wissen über klassische Literatur und über Philosophie, aber auch über die Geschichte des internationalen Fußballs.

Nur: Die Öffentlichkeit erfährt davon nichts. Dafür finden seine misslungenen Versuche, sich als starker Mann zu präsentieren, ein um so stärkeres Echo. Polityka nennt ihn schlicht den "einsamen, unglücklichen Präsidenten".

© SZ vom 2.7.2008/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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