Polen und Israel:Aus der Beschwichtigung wird ein Eklat

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Ministerpräsident Morawiecki löst in München Entsetzen mit einer Äußerung zum Holocaust aus.

Von Daniel Brössler

Hat er Juden die Mitschuld am Holocaust gegeben? So verstanden viele Teilnehmer die Worte Morawieckis, hier zu sehen auf einem Bildschirm. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Auf die Frage hätte Mateusz Morawiecki eigentlich vorbereitet sein müssen. Sie ist in den vergangenen Wochen oft gestellt worden. Es geht um das neue polnische Gesetz, das allen ein Bußgeld oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren androht, die "öffentlich der polnischen Nation oder dem polnischen Staat faktenwidrig die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen zuschreiben, die durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden". Der aus Israel stammende Journalist Ronen Bergman erzählt am Samstag bei der Sicherheitskonferenz die Geschichte seiner Mutter, die mit ihrer Familie von polnischen Nachbarn an die Gestapo verraten worden sei und nur durch rechtzeitige Flucht überlebt habe. Und dann fragt er: "Mache ich mich strafbar, wenn ich das erzähle?" Er erntet viel Applaus dafür.

Morawiecki holt aus zu einer längeren Antwort, die beschwichtigen soll, an deren Ende aber ein Eklat steht. "Nein, man muss keine Strafe fürchten, wenn man behauptet, dass es polnische Täter gab, so wie es jüdische Täter gab, so wie es russische Täter gab, so wie es ukrainische und nicht nur deutsche Täter gab", sagt er.

Viele im Publikum verstehen es so, dass Morawiecki soeben Juden eine Mitschuld am Holocaust gegeben hat. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, ebenfalls unter den Gästen, twittert, Morawiecki mangele es an "Gefühl für die Tragödie unseres Volkes". Am nächsten Tag nutzt der Israeli seine Rede, die er ansonsten fast vollständig der Gefahr aus Iran widmet, für drei Sätze, die wohl dem polnischen Premier gelten: "Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen. Wir werden stets für die Wahrheit kämpfen."

Durch den Auftritt des Premiers fühlen sich viele Israelis in ihren Befürchtungen bestätigt

Das von Polens nationalpopulistischer Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis) forcierte Gesetz hatte vielerorts Empörung hervorgerufen, vor allem auch in Israel. Das Gesetz diene dazu, die Rolle totzuschweigen, die auch Polen beim Völkermord der Nazis an den Juden gespielt haben, wird beklagt. "Es ist eine historische Tatsache, dass viele Polen beim Judenmord halfen, Juden auslieferten und erpressten, ja sogar während und nach dem Holocaust Juden selbst ermordeten", sagte Bildungs- und Diasporaminister Naftali Bennett. Durch den Auftritt des polnischen Ministerpräsidenten fühlen sich viele Israelis in ihren Befürchtungen bestätigt, und auch der Jüdische Weltkongress (WJC) verurteilt Morawieckis Aussage scharf. Dieser habe "erschreckende Ignoranz gezeigt mit seiner unverschämten Behauptung, dass sogenannte jüdische Täter zum Teil verantwortlich waren für den Versuch der Nazis, das europäische Judentum auszurotten", erklärt WJC-Präsident Ronald Lauder. Dies komme einem Versuch der Geschichtsfälschung gleich.

In Polen hat der Streit um das "Holocaust-Gesetz" eine antisemitische Welle ausgelöst

In einer Erklärung bemüht sich Morawieckis Büro schließlich um Schadensbegrenzung. Weder sei es dem Ministerpräsidenten darum gegangen, den Holocaust zu relativieren, noch habe er den jüdischen Opfern irgendeine Mitschuld am von den Deutschen begangenen Völkermord geben wollen. "Ganz im Gegenteil" habe sich Morawiecki vielfach gegen eine Leugnung des Holocaust als auch gegen "jegliche Form des Antisemitismus" gewandt. Der Streit um das "Holocaust-Gesetz" hat in Polen freilich geradezu eine antisemitische Welle ausgelöst. In Sprechchören hatten Demonstranten kürzlich von Präsident Andrzej Duda verlangt, er möge seine "Kippa abnehmen" und das Gesetz unterschreiben.

Zweifel an seiner Gesinnung nährte Morawiecki dabei nicht nur mit den Worten von den "jüdischen Tätern". Ein von seinem Büro per Twitter verbreitetes Foto zeigt ihn auf dem Münchner Friedhof am Perlacher Forst. "Premier Morawiecki legte einen Kranz nieder und entzündete eine Kerze an Gräbern von Soldaten der Heiligkreuz-Brigade der Nationalen Streitkräfte", heißt es dazu. Entsetzt titelte die liberale polnische Zeitung Gazeta Wyborcza: "Morawiecki ehrte die Heiligkreuz-Brigade, die mit dem Dritten Reich kollaboriert hat". Die Geschichte der Brigade ist eine aus den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. Die Truppe sah ihren Hauptfeind in der Roten Armee und gehörte nicht zu den Partisanen der Polnischen Heimatarmee. 1945 schlug sie sich zu den US-Streitkräften durch - angeblich mit Hilfe der Deutschen.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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