Polen und die EU:Scharfes Schwert, nicht gezogen

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Neue Gesetze bringen den Rechtsstaat in Polen in Gefahr. Doch die EU-Kommission hält sich zurück mit Konsequenzen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Was die rechtsstaatlich problematische Entwicklung in Polen betrifft, steckt die EU-Kommission in einem Dilemma. Mehr als ihre Vorgänger versteht sie sich ausdrücklich als "politische" Behörde, nicht nur als Verwalterin von Gesetzen. Doch gemessen an diesem Anspruch fiel die Reaktion auf die neueste Entwicklung in Warschau bisher auffällig lau aus.

Am Dienstagabend hat das Parlament in erster Lesung das jüngste der umstrittenen Gesetze verabschiedet: Künftig soll der Justizminister die Richter des Obersten Gerichts bestellen dürfen, außerdem will die Regierung ihre Kontrolle über die Besetzung aller Richterstellen stark ausweiten. Zuletzt ist kein Tag vergangen, an dem Politiker und Journalisten aus vielen EU-Staaten die Kommission nicht zu einer Stellungnahme aufforderten. Am Montag appellierten die Chefs der größten Fraktionen des Europaparlaments an die Kommission, "jetzt zu handeln und klar aufzuzeigen, welche Folgen die Verabschiedung der Gesetze haben werde". Die Antwort der Kommissionssprecher war stets die gleiche: Noch ist es nur ein Vorschlag der Regierung, warten wir es ab. Außerdem läuft ja das Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, in dessen Rahmen Vizepräsident Frans Timmermans an diesem Mittwoch seinen Kommissarskollegen Bericht erstatten werde. Bis dahin sagen wir: nichts.

Ungarn hat bereits klargemacht, dass es die Polen in einem Streit mit der EU unterstützen werde

Während man in Brüssel schweige, schafften die polnischen Populisten längst faits accomplis, schimpfte ein Journalist im Pressesaal. Eine Reporterin des polnischen Privatfernsehsenders Polsat zeigte sich fassungslos angesichts dieser ostentativen Zurückhaltung. Geduldig beantworte die Kommission jede Brexit-Frage - und kein Kommentar zu Polen, das sich ebenfalls bald aus der EU verabschiede, wenn es so weitergehe? Einziger Erfolg, wenn man so will, ihres Ausbruchs waren schlimmste Schmähungen in den sozialen Netzwerken, nicht zuletzt durch Kollegen des polnischen Staatsfernsehens.

Die Kommission verlässt sich also voll auf das Rechtsstaatsverfahren, das sie im Januar 2016 startete, damals wegen Reformen, die auf die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts zielten. Es ist ein potenziell scharfes, aber heikles Instrument. In letzter Konsequenz sieht es Sanktionen gegen einen uneinsichtigen Staat vor, die bis zum Entzug von Stimmrechten reichen. Dazu müssten die anderen Mitgliedstaaten jedoch einstimmig feststellen, dass ein "schwerwiegender und anhaltender Verstoß" gegen EU-Grundwerte vorliege. Polens Verbündeter Ungarn hat bereits klargemacht, dass es eine solche Feststellung nicht mittragen werde.

Mitte Mai hatte erstmals der EU-Ministerrat über die Lage des Rechtsstaates in Polen beraten. Die anderen EU-Regierungen forderten die Kommission bloß auf, vorerst weiterhin den Dialog mit Warschau zu suchen. Da man sich in den Hauptstädten vor einer glasklaren Ansage oder gar Drohungen in Richtung Warschau drückt, mag auch die Kommission nicht allzu offensiv auftreten.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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