Plebiszit in Deutschland:An den Menschen glauben

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Werben für mehr Demokratie - im Jahr des 60. Grundgesetz-Jubiläums: Warum Deutschland ein Plebiszit auf Bundesebene braucht.

Heribert Prantl

Carlo Schmid, der Vater des Grundgesetzes, hat Recht behalten über Konrad Adenauer, den Großvater der Bundesrepublik.

Aktion in Berlin: Bürger werben für eine größere Beteiligung in der Politik. (Foto: Archiv-Foto: dpa)

Adenauer hat damals, vor sechzig Jahren, das erste Gespräch mit Carlo Schmid wie folgt beschlossen: "Was uns beide unterscheidet, ist nicht nur das Alter, es ist auch noch etwas anderes: Sie glauben an den Menschen, ich glaube nicht an ihn und habe nie an den Menschen geglaubt." Noch nach Jahren hat Adenauer ihn bei Empfängen in eine Ecke gezogen und gefragt: "Glauben Sie immer noch an den Menschen?"

Carlo Schmid tat es. Und die Geschichte der Republik zeigt, dass er recht damit hatte. Das Misstrauen gegen das Volk, das sich auch im Grundgesetz spiegelt, weil es dem Plebiszit keinen Millimeter Raum gibt, ist unberechtigt geworden. Die Deutschen haben eine lange Zeit der Bewährung ziemlich gut bestanden.

Das ökologische Bewusstsein hat sich in Deutschland nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben entwickelt. Und im Osten haben die Menschen ein diktatorisches Regime gestürzt. Und diese Menschen sollen nicht reif sein, sich hin und wieder in einer Volksabstimmung zu äußern?

Volksabstimmung gilt den einen als Wundermittel, den anderen als Gift für die Demokratie. Wenn beide Seiten derart übertreiben, dann liegt das daran, dass, zumal in Deutschland, schon so lange über Plebiszite gestritten wird, dass man vergessen hat, wie alles anfing: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes konnten und wollten dem Volk nicht verzeihen, dass es einst Hitler gewählt hatte.

Angst vor Demagogen

Deshalb beschränkten sie die Möglichkeiten des Volks, seinen Willen zur Geltung zu bringen, auf das absolute Minimum - auf die Bundestagswahl. Abgrundtief war die Angst vor neuen Demagogen und davor, dass ein Hebel gegen die junge Demokratie missbraucht werden könnte. Daher kommt die Angst vor der Volksabstimmung. Allein im Artikel 20 Absatz 2 findet sich die (nicht konkretisierte) Verheißung, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, und nicht nur in Wahlen, sondern auch in "Abstimmungen" ausgeübt werde.

Eine Politik, die heute noch jedes Plebiszit ablehnt, muss darlegen, dass die Gründe für das grundsätzliche Misstrauen gegn das Volk, die Gründe von 1949, noch immer vorhanden sind. Immerhin haben die Deutschen eine ziemlich lange Zeit der Bewährung hinter sich.

Ergänzung des repräsentativen Prinzips

Alle deutschen Bundesländer kennen Plebiszite, sie funktionieren dort hervorragend. Was auf Länderebene gut ist, kann auf Bundesebene nicht des Teufels sein. Es geht ja nicht um Abstimmungsorgien, sondern um eine Ergänzung des repräsentativen Prinzips, um seine Anreicherung mit neuen Elementen, es geht darum, dieses Prinzip behutsam zu korrigieren.

Ein Plebiszit ist kein Zaubertrank, den eine Demokratie nur in sich hineinschütten muss, auf dass all ihre Schwächen von ihr abfallen. Es ist ein wichtiges, aber nicht wundersames Hilfsmittel für eine Demokratie, es ist eine Medizin mit Nebenwirkungen. Und es verhält sich damit so, wie mit allen Heilmitteln: Man muss sich Indikation und Dosierung genau überlegen.

1949 hatte man keinen Anlass, ob die strenge Rationierung der Mitwirkungsrechte der Bürger ein Dauerzustand bleiben könne. Das Grundgesetz war ja als vorläufige Ordnung gedacht. Und als sich herausstellte, dass aus der vorläufigen eine feste Ordnung geworden war und nach der Wiedervereinigung eine Verfassungsreform auf der Tagesordnung stand, da hatte sich die Politik an die Bequemlichkeiten des streng repräsentativen Systems so gewöhnt, dass die Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung nicht zustande kam.

Wer eine lebendige Demokratie will, darf aber an alten Bequemlichkeiten nicht festhalten. Halten wir es mit Carlo Schmid - glauben wir an den Menschen.

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