Plebiszit:Die Union streitet, und Paracelsus schlichtet

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Die CSU geht mit der Forderung nach einer Einführung bundesweiter Volksentscheide in den Wahlkampf. Merkel und die CDU sind dagegen. Muss man das Volk vor sich selbst schützen?

Von Heribert Prantl

Horst Seehofer ist ein Politiker, der das Plebiszit anpreist wie einen demokratischen Zaubertrank. Er möchte sich und die CSU darin baden, er möchte die CDU davon kosten lassen - und er möchte dann das Getränk bundesweit ausschenken. Angela Merkel freilich wollte das schon vor vier Jahren bei den Koalitionsverhandlungen für das Kabinett Merkel III nicht, und sie will das jetzt, nach den Erfahrungen mit dem Brexit, erst recht nicht. Da zieht also neuer Streit in der Union auf, weil die CSU mit dem bundesweiten Plebiszit in den Wahlkampf zieht.

Die CSU will sich auf diese Weise als eine Art regierende Bürgerwehr präsentieren. Auf ihrem Parteitag hat die CSU soeben, nach einer Mitgliederbefragung, die Einführung des bundesweiten Plebiszits beschlossen; die CDU will sich auf ihrem bevorstehenden Parteitag markant dagegen aussprechen. Nachdem die CSU soeben in Bayern mit ihren unverbindlichen Volksbefragungen vor dem heimischen Verfassungsgerichtshof gescheitert ist, wird sie die bundesweiten Plebiszite mit umso größerem Eifer propagieren; anders als bei den Flüchtlingen soll es bei den Plebisziten keine Obergrenzen geben dürfen. Nur bei einer einzigen Abstimmungsfrage würde Seehofer wohl zurückzucken: Wenn die Bayern per Plebiszit gefragt werden sollen, ob sie es für richtig halten, dass sie im Freistaat nur Seehofer und nicht Merkel wählen dürfen.

Muss man das Volk vor sich selbst schützen?

Ja zum Plebiszit? Nein zum Plebiszit? Diese Justament-Standpunkte sind falsch. Das Plebiszit ist nicht per se gut und nicht per se schlecht. Ein Plebiszit kann sehr kreativ sein und es kann sehr destruktiv sein. Es ist kein demokratisches Wundermittel, sondern ein demokratisches Hilfsmittel. Es kann heilsam sein, aber auch toxisch. Es gilt der Satz des alten Paracelsus: Sola dosis facit venenum - nur die Dosis macht das Gift. Jede Arznei hat Nebenwirkungen: Wer geheilt werden will, muss sie in Kauf nehmen. Es verhält sich mit Volksbegehren und Volksentscheid ähnlich; wer das Plebiszit zur Linderung von Politikverdrossenheit einsetzen will, der muss sich sowohl die Indikation als auch die Dosierung gut überlegen.

Nach den Trump-Wahlen in den USA, nach dem Brexit und sonstigen unheilvollen Abstimmungen hat freilich das Argument, dass man das Volk vor sich selbst bewahren müsse, wieder Konjunktur. Es ist ein trauriges, es ist ein kleinmütiges Argument. Natürlich darf das Plebiszit nicht vom Himmel geworfen werden, als handele es sich um Manna. Zumal dann, wenn Plebiszite (wie beim Brexit und demnächst bei der Volksabstimmung in Italien über die Verfassungsreform) aus politischer Schwäche anberaumt werden, machen sie die Demokratie gewiss nicht stärker. Das Plebiszit kann und darf es den Politikern nicht ersparen, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen.

Sollte in einem Jahr über ein Kabinett Merkel IV verhandelt und dabei über das Plebiszit gestritten werden, wird neben Seehofer und Merkel auch Paracelsus am Tisch sitzen. Plebiszit? Die Dosis macht's.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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