Plauderpapst:Völlig losgelöst

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Die Christen sollten sich bei den Homosexuellen entschuldigen. Der Brexit? Europa brauche vielleicht "gesunde Zwietracht". Papst Franziskus redet im Flugzeug gern Tacheles. Warum?

Von Matthias Drobinski

Diesmal geschah es zwischen Eriwan und Rom, wie immer geschah es über den Wolken, im Flugzeug. Die Journalisten prüften, ob das Aufnahmegerät wirklich lief; dann kam er nach hinten, Papst Franziskus, der oberste Aufreger seiner katholischen Kirche. Fragen frei! Ein paar zur beendeten Armenien-Reise. Eine zu Martin Luther - dessen Absichten seien "nicht falsch" gewesen. Der Brexit? Vielleicht brauche Europa so etwas wie eine "gesunde Zwietracht". Allgemeines Aufhorchen, doch dann sagt er: "Für mich steht die Einheit immer über dem Konflikt" - also keine Sensation. Dann doch ein kleiner Aufreger: Die Christen sollten sich bei den Homosexuellen für begangenes Unrecht entschuldigen.

Alles harmlos, sagt einer, der dabei war, verglichen mit der Aufregung, die sonst schon nach solchen Rückflugs-Pressekonferenzen war. Die gibt es zwar schon seit dem Reisepapst Johannes Paul II., doch erst Franziskus hat sie zum Event werden lassen, das des Papstes Pressestab zittern lässt. "Wer bin ich, über Homosexuelle zu richten?", fragte er 2013 auf dem Flug zurück von Rio de Janeiro, und alle Welt fragte, ob das nun die Wende im Verhältnis der katholischen Kirche zur Homosexualität sein würde (war es nicht). Auf dem Heimweg von den Philippinen fiel der Satz von den Katholiken, die glaubten, sie müssten sich vermehren "wie Karnickel"; nach dem Mexiko-Besuch nannte er, umrahmt von Gepäckablageklappen, Donald Trumps Forderung nach Grenzzäunen unchristlich.

Und immer ist bei der Landung in Rom die Reaktion gleichermaßen gespalten: Die einen finden es großartig, dass der Mann sich nicht den Mund verbieten lässt und freimütig sagt, was ihm so durch den Kopf geht. Andere hingegen finden es unangemessen, dass ein Papst redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: Ist nicht alles, was jemand in seiner Position sagt, quasi offiziös?

Franziskus wäre schließlich nicht der Erste, der sich über den Wolken um Kopf und Kragen redet. Auch der Satz des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, man müsse deutsche Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen, fiel auf dem Rückflug von Masar-i-Scharif nach Deutschland; es war der Anfang vom Ende seiner Präsidentschaft. Von vielen Politikern heißt es, dass sie auf Rückflugs-Gesprächen offen bis hin zur Unvorsichtigkeit seien: Die Anspannung der Reise fällt ab, man sitzt, dem Gewese enthoben, in vertrauter Runde, es gibt ein Gläschen Wein, und schon ist es passiert.

Bei Franziskus gibt es aber eine weitere Erklärung für die Parade der Rückflugs-Zitate: Ihn trifft nicht der Laber-Flash, er nutzt die Gelegenheit, um Themen zu testen, und wenn es zu viel Ärger gibt, kann er immer noch sagen: So war es nicht gemeint. Das Karnickel-Zitat ging bei genauer Betrachtung ums Thema Verhütung und verantwortliche Elternschaft, zum Ärger der Konservativen. Und der später relativierte Satz über Trump signalisierte dem Präsidentschaftskandidaten: Pass auf, du könntest dir den Papst als Gegner einhandeln. Dass Franziskus diesmal zwischen Eriwan und Rom die großen Aufreger vermied, kann bedeuten, dass er vorsichtiger geworden ist. Doch schon der nächste Rückflug könnte diese These widerlegen.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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