Philosoph Theweleit im Interview:"Wir müssen diese Bilder zeigen"

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Es folgt der grausigen Logik der Überbietung, einer letzten Eskalation im Krieg der Bilder: Der Philosoph Klaus Theweleit über die Enthauptung Nick Bergs, die Praktiken der Folter und die Heuchelei westlicher Zuschauer.

Interview von Sonja Zekri

Es folgt der grausigen Logik der Überbietung, einer letzten Eskalation im Krieg der Bilder: Vor laufender Kamera haben irakische Terroristen den Amerikaner Nicholas Berg enthauptet - nach einer Erklärung, derzufolge dieses Video die Antwort auf die Folter irakischer Gefangener im Gefängnis von Abu Ghraib sei.

Der US-Amerikaner Nick Berg und seine Mörder. "Die Bilder sind ein Nebenprodukt. Viel wichtiger ist das Moment des Triumphs." (Foto: Foto: dpa)

Im Interview spricht der Karlsruher Philosoph Klaus Theweleit über das Gelächter der Folterer und die Heuchelei westlicher Zuschauer.

SZ: Die Henker Nick Bergs rufen am Ende "Allahu akbar", Gott ist groß, in die Kamera. Sie rechtfertigen ihre Tat als Antwort auf die Folter im Gefängnis von Abu Ghraib. Die Tat scheint den Mechanismen des Snuff-Video-Marktes zu folgen: Der Mord wird ausgelöst durch den Bedarf an schockierenden, authentischen Bildern.

Klaus Theweleit: Die Bilder sind ein Nebenprodukt. Viel wichtiger ist das Moment des Triumphs. Wenn man die Geschichte und die Praktiken der Folter weltweit betrachtet, dann steht im Kern des Aktes die Vernichtung des Opfers durch das Gelächter des Folterers, im Zuwachs an Lebendigem, der aus dieser Macht rührt. Und dieses Gelächter muss ausgestellt werden.

Folter hat diesen Inszenierungscharakter. Pasolini hat diesen Genussanteil, der stets im Wesen der Folter liegt, verdeutlicht, indem er in den "120 Tagen von Sodom" die Verbindung von Sexualität und Folter zeigt: Dort haben die Folterer immer eine Hand in der Hose. Der Skandal der Wehrmachtsausstellung lag ja gerade darin, dass sie die Freude der deutschen Soldaten an ungeheuerlichen Verbrechen gezeigt hat. Folter braucht Zeugen. Wenn man sie nicht nach außen bringen kann, dann wird sie im Inneren verbreitet.

Natürlich liegt in den Bildern von der Enthauptung Nick Bergs auch ein demonstrativer Moment: Wir zeigen euch, dass wir es genauso gut können, ähnlich wie bei den Fotos der Schleyer-Entführung.

SZ: Alles nicht neu?

Theweleit: Wenn man sich die Linie ansieht, die Pasolini gezogen hat von Sodom über de Sade, den französischen Adel, die Salò und die SS bis zur italienischen Großbourgeoisie, dann liegt darin die Behauptung eines Universalismus der Folter, die schlicht zutrifft. Jede Gesellschaft hat einen bestimmten Prozentsatz von Menschen wie die US-Soldatin Lynndie England, die sich vor gefolterten Irakern ablichten ließ, Menschen, bei denen Sexualität umschlägt in Gewalt, in die Zerstörung des anderen. Unter den Bedingungen des Krieges darf sich diese Neigung endlich Bahn brechen.

SZ: Die Kontinuität der Folter reicht zurück bis in die Antike, wo sie Herrschaft legitimierte. Auf den Basaren in Tschetschenien kursieren grausame Videos. Ist also unser Abscheu vor den Bildern aus dem Irak nur die Reaktion friedensverwöhnter Mitteleuropäer, wie der Soziologe Wolfgang Sofsky sagt?

Theweleit: Es mag hart klingen, aber mich haben diese Bilder nicht besonders entsetzt. Ich habe solche Szenen im Kopf, etwa aus den KZ's, aus Splatter- und Pornofilmen. Wir können diese Bilder verdrängen, aber dann geben wir uns jener Illusion hin, die die harmlosen Ausgaben der Tagesschau verbreiten: dass wir in einer halbwegs zivilisierten Welt leben. Aber eine Öffentlichkeit, die immer noch so tut, als hätte sie nicht gewusst, welche Verwüstungen der Krieg anrichtet, ist scheinheilig. Neu ist einzig die Zirkulation im Internet, in den elektronischen Medien, in Zeitungen.

SZ: Muss man diese Bilder zeigen?

Theweleit: Ich bin dafür, dass man sie zeigt. Wenn man sie in einem Kontext nach dem Motto "Oh, wie entsetzlich" sieht, dann bleiben sie belanglos. Wenn man sich aber klarmacht, dass das ein Strang unserer Zivilisation ist, dass unsere Gesellschaft dieses ökonomisch-militärische Gewaltpotenzial hat, dass es global angewandt wird, dann können sie eine politische Diskussion in Gang setzen.

SZ: Ausgerechnet in der Region, wo der erste Golfkrieg klinisch saubere Bilder lieferte, dringt nun der Körper des Soldaten in seiner Sinnlichkeit und Verletzlichkeit über die Bilder seiner Zerstörung wieder ins Bewusstsein.

Theweleit: Für mich hat der Krieg diese Dimension der Sinnlichkeit und der Zerstörung nie verloren. Mit welchem Recht konnten wir sie auch verdrängen?

© SZ vom 13. Mai 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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