Pfahls-Prozess:Pulverdampf und große Gesten

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Altkanzler Helmut Kohl bringt als Zeuge die Weltpolitik in den Augsburger Gerichtssaal, den Angeklagten Pfahls straft er mit Nichtachtung.

von Hans Leyendecker

Augsburg, 3.August - Sehr aufrecht betritt Helmut Kohl den Saal. Man starrt ihn an. Vier Leibwächter hat er an der Seite. Kameras klicken und schnurren, Mikrofone recken und strecken sich. Der Altkanzler schaut wie ein Mann drein, der über der Situation steht. Er nimmt Platz.

"... ich war ja der Bundeskanzler" - wer hätt's gedacht. (Foto: Foto: AP)

Fotografen und Kameraleute, die hinter einem Gitter im Gerichtssaal 101 drängeln, sehen nur noch einen breiten Rücken. "Herr Kohl, nur einmal", rufen sie. Er blickt artig für einen Moment in die Objektive. Erst links, dann rechts. Einer wie er weiß, was sich gehört.

Es hat ihm missfallen, dass sich sein früherer Außenminister Klaus Kinkel neulich bei seinem Zeugenauftritt in Augsburg so schlecht benommen hat. Sorgfältig hat sich der 75-Jährige auf seinen Auftritt als Zeuge im Bestechungsprozess gegen den früheren Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls präpariert.

Mit seinem Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner, der ihn auch nach Augsburg begleitet, hat er am Dienstag noch einmal die Aussagen nachgelesen, die er zwischen Juli 2000 und Dezember 2001 bei seinen vier Auftritten vor dem Parteispenden-Untersuchungsauschuss des Bundestages gemacht hat.

306 lange Seiten, und natürlich ist es auch damals schon um die Lieferung von 36 Fuchs-Spürpanzern nach Saudi-Arabien und um die Rolle von Pfahls gegangen.

Bevor Kohl aufgeräumt beginnt, die ganz große Welt zu erklären, nickt er sehr freundlich der Staatsanwaltschaft und auch dem Gericht zu. Den Angeklagten und dessen Anwälte streift er mit einem kühlen Blick, das schafft Distanz.

Tag der Abrechnung

Viel mehr als die fünf Meter Abstand liegen da zwischen Zeugenstuhl und Anklagebank. Der Blick sagt auch: Pfahls ist ein Niemand, jedenfalls keiner, dem Kohl auf der Wanderung ein Stück Wurst mit dem Messer abgesäbelt hätte. Kohl ist ein Jemand, der es gewohnt ist, dass ihm absolut zugehört wird.

Der 3.August ist der Tag der Abrechnung. Endlich kann Kohl vor einem Gericht erklären, dass seine Regierung nicht bestechlich war. Kein Abgeordneter der Linken kann ihn, wie im Untersuchungsausschuss, unterbrechen.

Kohl trägt eine Erklärung vor, die eine Mixtur ist aus seinem Werk "Mein Tagebuch", das 2000 erschien, und seiner diversen Aussagen im Ausschuss.

Sein Vortrag und das Nachspiel werden zur großen Oper. Nur schluchzende Geigen haben gefehlt. Wenn Kohl, wie er am Mittwochmorgen im Gericht ankündigt, nur "in ein paar Sätzen" schildern will, "wie die Lage war", dann muss man das nicht wörtlich nehmen. Es kann dauern.

In Straußens Gnadensonne

Irgendwie geht es im Folgenden um die Situation in Deutschland im Jahr 1990: die Einheit, Margret Thatcher, die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, den amerikanischen Senat, der, wie der Altkanzler wissend erläutert, Hill heißt, die Rangfolge in Saudi-Arabien, seine Freunde George Bush und Michael Gorbatschow, die dauernden Wahlkämpfe, die Linken, die ihm nachsetzten und die Einheit nicht wirklich wollten.

Nur wer das alles weiß, bedeutet Kohl, kann verstehen, dass er, der Kanzler, sich nach dem Einmarsch der Truppen Saddam Husseins in Kuwait im Sommer 1990 in einer ganz besonderen Lage sah.

Die USA und auch andere Nationen verlangten Unterstützung im Kampf gegen den Diktator, und was sollte er tun? Er wollte die Einheit, er wollte keine deutschen Soldaten in ferne Länder schicken, da musste man anders helfen. Spürpanzer nach Saudi-Arabien zu liefern, war die Lösung. "Das war meine Entscheidung", sagt er mehrmals.

Ein Schöffe schreibt beim weltpolitischen Kolleg des Altkanzlers eifrig mit, und auch der Angeklagte Pfahls hört aufmerksam zu, wenn der Zeuge doziert.

Der Angeklagte schaut aber fast ängstlich. Immer wieder presst er die rechte Hand zusammen, sein Gesicht wirkt maskenhaft, als werde es nicht richtig durchblutet.

Manchmal pustet er die Backen auf oder lutscht ein Bonbon. Ist er sehr aufgeregt? Dann schiebt er den Stuhl ein Stück zurück, als wolle er noch mehr Abstand zum gestrengen früheren Chef.

Kohl lässt keinen Zweifel, dass er von Pfahls nie viel gehalten hat. Sein ewiger Freundfeind Franz Josef Strauß hatte ihm Pfahls nach Bonn geschickt. Der habe in "der Gnadensonne" von Strauß gestanden, "gelegentlich bis hin zum Sonnenbrand ". Zu so einem hielt Kohl Distanz.

Seit Jahren beschäftigt sich die 10.Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Augsburg mit der Frage, wie es dazu kam, dass die Panzer nach Saudi-Arabien rollten, und Kohl kann das leicht erklären.

Der damalige US-Außenminister James Baker besuchte ihn im September 1990 in Oggersheim, und er, der Kanzler, hat dem "Freund" die Lieferung der Panzer versprochen. Das hat er dann auch seinem anderen Freund, dem US-Präsidenten, gesagt.

Nichts auf der Welt hätte ihn fortan davon abbringen können, die Panzer zu liefern. "Um jeden Preis hätte ich das gemacht", erklärt er. "Meine Freunde wissen, dass ich mein Wort halte. Wichtig sei ihm nur gewesen, diese Entscheidung mit Israel abzustimmen. Der Pulverdampf der Weltpolitik liegt über dem Gericht. Der Schöffe schreibt noch schneller.

Was Kohl sagt, passt andererseits nicht zu den Vermerken und Dokumenten, die der Vorsitzende Richter Maximilian Hofmeister an die Wand werfen lässt.

Die Gegner im Blick

Da ist in regierungsamtlichen Schriftstücken gar nicht von Panzern für Saudi-Arabien die Rede. Nur die Manager von Thyssen Hentschel und der Waffen-Lobbyist Karlheinz Schreiber hatten früh von den Plänen erfahren.

Wie das denn gekommen sei, fragt Staatsanwalt Christoph Wiesner. Kohl fragt nach den Daten der Briefe und Vermerke und zuckt dann mit der Schulter.

Das mit der Regierung hingegen kann er leicht erklären. Er hat auch den Ministern zunächst nichts über die geplante Saudi-Lieferung gesagt, weil er Indiskretionen fürchtete. "Ich habe so viel Indiskretionen erlebt, aber mein Nachfolger hat noch sehr viel mehr erlebt", sagt er.

Nie verliert er die Gegner, die Sozis, aus dem Blick. "Wir" gegen "die" ist das Grundmuster seines politischen Lebens. Selbst vor Gericht. Dass er von Waffenhändlern und Waffenhandel nichts hält, sagt er auch, "da fließt so viel Geld". Beträge, von denen sich "Beamte der Besoldungsgruppen A13 bis B11" keine Vorstellung machten. Pfahls war B11.

Als Kohl das sagt, schiebt Pfahls den Stuhl wieder zurück und faltet die Hände. Er hat vor Gericht eingeräumt, der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber habe für ihn ein Konto über 3,8 Millionen Mark eingerichtet und ihm 873.000 Mark für diverse Waffenprojekte, darunter die Panzer-Lieferung, zugesteckt.

Kohl kann sich keinen Reim darauf machen, dass beim Panzer-Deal Schmiergeld notwendig gewesen sein soll: "Ich kapiere nicht, warum Leute Geld für Bestechung zahlen, wenn sie doch wissen, sie kriegen das Gerät."

Die Entscheidung von Februar 1991 im Bundessicherheitsrat, die Panzer zu liefern, sei einstimmig erfolgt. Einer der Richter weist zögerlich auf damalige Bedenken des Auswärtigen Amts hin. Auch das kann Kohl leicht erklären: "Die waren immer gegen alles, was fährt und für alles, was schwimmt." Aber er war der Chef.

Dann will Richter Hofmeister wissen, wie es mit der Lieferung zweier U-Boote an Israel gewesen sei und welche Rolle Pfahls gespielt habe. Der frühere Rüstungsstaatssekretär hatte im April den Staatsanwälten darüber berichtet.

Im Kanzlerbungalow habe er als Vertreter des Verteidigungsministeriums an einer Besprechung mit Kohl teilgenommen, und da sei es um die U-Boot-Lieferung nach Israel gegangen.

Er, Pfahls, habe den Finger gehoben und darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr schon eine Menge Kriegsgerät nach Israel geliefert habe. Da habe ihm Kohl "vor versammelter Mannschaft äußerst spürbare Ohrfeigen" versetzt. "Ich bin noch niemals derart verbal angegangen worden wie in dieser Stunde", hat Pfahls gesagt.

Kohl kann sich nicht einmal daran erinnern, dass Pfahls an dem Gespräch teilnahm. Er hebt wieder die Schultern und lässt sie fallen. Pfahls war offenbar ein Sandkorn am Ufer des Geschehens. Der Alte hat vorgetragen, aber er hat sich nicht ganz an den Text gehalten.

Der Tag endet sehr versöhnlich: Staatsanwalt Wiesner hebt an zu einer Erklärung, nach der Kohl Opfer eines Betruges geworden ist. Er habe das "Bedürfnis zu sagen, dass es bei den Nachforschungen im Panzer-Fall nicht um die politische Entscheidung gegangen sei, sondern nur um das Ermessen das Pfahls als Staatssekretär hatte.

Diese Aufklärung, hätte er hinzufügen müssen, ist in dem Augsburger Prozess ein bisschen zu kurz geraten.

Dann wird es rührselig. Zur Inszenierung in Saal101 gehört, dass Pfahls-Verteidiger Volker H. Hoffmann eine Entschuldigung seines Mandanten verliest, der "beschämt" sei darüber, was er dem "sehr geehrten Dr. Kohl" zugefügt hat: "Dr. Pfahls möchte sich bei Ihnen persönlich dafür entschuldigen, dass er durch sein strafbares Verhalten letztlich Sie und Ihre Regierung in einen unzutreffenden Ruf gebracht hat", sagt Hoffmann. Sein Mandant schaut, als müsse er weinen.

Das ist der einzige Moment, in dem Kohl länger zum Angeklagten blickt. Er bedankt sich "ausdrücklich für diese Erklärung". Es sei ihm "nicht einerlei" gewesen, dass seine Gegner behaupteten, die Regierung Kohl sei bestechlich. Beim Gehen aber würdigt er Pfahls keines Blickes mehr.

© SZ vom 4.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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