Parteispenden-Affäre:Kohl, Kuba und Lügendetektor

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Jürgen Schneider tauchte nach seiner Pleite ein Jahr in Florida unter, wo er 1995 verhaftet wurde. Er wurde zu fast sieben Jahren Haft verurteilt. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Der große Unbekannte im CDU-Skandal um Spenden und schwarze Kassen: ausgerechnet der Immobilien-Unternehmer und Milliarden-Pleitier Jürgen Schneider?

Von Hans Leyendecker

Utz Jürgen Schneiders Stimme ist sonor, leicht hessisch gefärbt. Kann es sein, dass der 82-Jährige manchmal auch sehr rau, richtig grob werden kann? Über Helmut Kohl soll der Großpleitier 1995 gesagt haben: "Der wird alles tun, um was ich ihn bitte, oder ich packe ihn an den Eiern." Dabei, das behauptet jedenfalls der israelische Privatdetektiv und Bodyguard Micha Rotem, 54, soll Schneider so getan haben, als würde er etwas in der Hand zerdrücken. "Blödsinn! So etwas habe ich nie gesagt", protestiert Schneider. "Dafür habe ich zu viel Achtung vor Kohl. Außerdem ist das überhaupt nicht mein Vokabular."

Als Schneider vor 21 Jahren wegen eines Riesenbetrugs in Deutschland in Florida in Abschiebehaft saß - das immerhin ist unumstritten -, haben der Leibwächter und der Bauunternehmer miteinander gesprochen. Es soll um die Zukunft von Schneider und angeblich auch um "Landschaftspflege" in Deutschland gegangen sein. Es "wird kein Gerichtsverfahren geben. Ich habe Freunde in der Regierung", soll Schneider dem Bodyguard gesagt haben. Er habe Beziehungen zu jemandem, der "an der Spitze der Pyramide sitzt - das ist Helmut Kohl". Dann soll der ganz böse Satz, der mit den Eiern, gefallen sein. Und: "Wenn ich falle, wird die Regierung stürzen. Das will keiner."

Rotem hat das alles viele Jahre später in einer Eidesstattlichen Erklärung festgehalten. Dann hat er sich in Israel noch einem Test mit einem Lügendetektor unterzogen, den er bestand. Kann man Lügendetektoren belügen? Ja, solche Fälle gibt es. Aber nicht viele.

Der Bodyguard, der, wie er sagt, im Bereich Security "überall auf der Welt" arbeitet, war damals in Florida an der Seite des Strafverteidigers Yitzhak Goldfine im Einsatz. Goldfine, heute 80, ist ebenfalls weltweit im Geschäft. Er arbeitet häufig in Israel und in Deutschland. Mitte der Neunzigerjahre war er für etliche Monate Schneiders Anwalt in Florida.

Ein Anwalt aus Florida erhebt Vorwürfe in einem aktuell erschienenen Buch

Auch Goldfine will mit dem Immobilien-Unternehmer über Kohl gesprochen haben. Schneider soll ihm verraten haben, dass er Kohl Spenden für die CDU gegeben habe - viel Geld. Goldfine: "Er steigerte sich in die Vorstellung, er könne sich damit vor dem Gefängnis retten oder Kohl stürzen."

So steht das jedenfalls in dem Buch "Die Wahrheit hinter der Wahrheit" von Goldfine und Peter Mathews, das in diesen Tagen im Europaverlag erscheint. Geschichten, Geschichten. Aus aller Welt. Er habe die Fälle und Prozesse selbst erlebt, Mathews habe sie aufgeschrieben, erklärt der Anwalt. Zwischen all den Abgründen in dem Schneider-Kapitel taucht beruhigenderweise immer wieder Goldfines schwarze Katze Lizzi auf, die so schön schnurrt.

Wer Rotem und Goldfine folgt, könnte glauben, dass Schneider der Mann ist, den die Republik seit Langem sucht: der unbekannte Spender von Kohl. Vier Jahre nach der Begegnung in Florida wurde in Deutschland der Skandal um die schwarzen Kassen der CDU von der Süddeutschen Zeitung enthüllt. Kohl sagte im Fernsehen, er habe "zwischen 1993 und 1998 Spenden entgegengenommen in einem Umfang, der zwischen anderthalb und zwei Millionen Mark liegt". Die Spender, die "mir helfen wollten," so Kohl, hätten darum gebeten, in keiner Spendenliste aufzutauchen. Er "habe nicht die Absicht, deren Namen zu nennen, weil ich mein Wort gegeben habe". Schneider habe ihm "in etwa" die Summe genannt, für die Kohl keine Herkunftsangaben machte, meint Goldfine. Und: "Den Namen Schneider hätte Kohl doch nie nennen können."

Mit frisierten Immobiliengeschäften hatte Schneider in Deutschland einen Milliardenschaden angerichtet. 1997 wurde er in Frankfurt zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Niemand von oben ist dabei der Justiz in den Arm gefallen. Über den Fall Schneider wurden Bücher geschrieben und Filme gedreht, ein Theaterstück gibt es auch. Es handelte sich nun mal um einen der größten deutschen Wirtschaftsskandale.

Vor etwa einem Monat mailte Mathews, der auch Krimis schreibt, eine "Tatsachenkonfrontation" an Schneider: "Haben Sie der CDU oder dem damaligen Bundeskanzler Kohl Parteispenden zukommen lassen? Wenn ja, wie hoch waren die Summen und wann war das?" Schneider hat ihm nicht geantwortet: "Ich bekomme so viele Anfragen von Leuten, die mich erpressen oder im Trüben fischen wollen. Da mache ich nicht mit." Beim Googeln habe er "gelernt", dass Mathews "beim Deutschen-Krimi-Preis 1986 den dritten Platz gemacht" habe.

Wie war das also mit Kohl? Schneider bestreitet in Gesprächen mit der Süddeutschen Zeitung energisch, Kohl jemals Geld gegeben zu haben. "Ich verehre den Alt-Kanzler", sagt er jedes Mal. Einmal macht er eine Kunstpause: "Ich wäre sogar stolz, wenn ich der oder einer der anonymen Spender wäre." - "Ich bin das aber nicht". Und Rotems durch Lügendetektor abgesicherte Erzählungen? Er könne sich zwar nicht mehr an jeden Satz, den er vor zwei Jahrzehnten gesagt habe, erinnern, aber solche "Grobheiten, die ich gesagt haben soll, sage ich nie. Wer was von mir will, soll zum Bundeskriminalamt gehen. Die wissen alles über mich".

Goldfine schildert in dem Buch eine seltsame Begegnung in einem Café in Haifa. Zwei Männer mit Sonnenbrillen, die aus Berlin angereist gewesen seien, hätten an seine "patriotische Pflicht appelliert". Er, Goldfine, habe es jetzt in der Hand, dass er, gemeint soll Kohl gewesen sein, seine "letzten Tage in Ruhe zu Ende bringen und sein Geheimnis mit ins Grab nehmen kann". Alles reine Fiktion?

Strafverteidiger Goldfine und sein ehemaliger Mandant Schneider sind inzwischen Feinde geworden. Dabei geht es auch um Honorar. Schneider habe ihm nur Geld für die laufenden Kosten gegeben, ihn aber letztlich nicht bezahlt, behauptet Goldfine. Lange hatte der Anwalt das hingenommen. Doch 2014 bestätigte ein Gericht in Tel Aviv seine Ansprüche. Schneider sagt aber, er habe kein Geld.

Als wäre es ein Krimi von Mathews, kommt in dem Schneider-Kapitel plötzlich ein weiterer Unbekannter ins Spiel. Ein Anonymus soll Goldfine angerufen und behauptet haben, Schneider habe, als er noch Vermögen besaß, heimlich 400 Millionen Dollar auf Kuba versteckt. Privatdetektiv Rotem machte sich auf die Spur. "Ich habe herausgefunden, dass es da ist," sagte er am Donnerstag der SZ. "Es ist kein Problem, die Information auch von Israel aus zu bekommen."

Aus "vertrauenswürdigen Quellen" will Goldfine zudem erfahren haben, dass Schneider im Frühjahr dieses Jahres mit einem Begleiter auf die Zuckerinsel gereist und eine Bank in Havanna besucht habe: "Mit Panamahut, Sonnenbrille, Hawaiihemd und Zigarre". Er habe 30 Millionen bar mitnehmen wollen. "Wasserfest verpackt", wegen seiner Yacht im Hafen. Der Bankdirektor habe Schneider einen Cuba libre angeboten, und ihm nach einer Wartezeit mitgeteilt, es gebe Probleme: Das Packpapier "ist aus". Schließlich habe Schneider etwa 30 Millionen Dollar an vier Banken in Europa überweisen lassen. Die 370 Millionen waren angeblich wie Eisschnee im Daiquiri in der Sonne Kubas geschmolzen.

Schneider lacht, als er von dem angeblichen Besuch in der Bank hört: "Großartig. Aber: Ich war noch nie auf Kuba, und ich rauche auch nicht. Alles Unfug." Übrigens sei er im Frühjahr wegen einer Hüftoperation an Stöcken gegangen, und wegen Herzflimmern sei er ständig beim Arzt gewesen. Nicht in Havanna - am Rhein.

Was die Sache mit den anonymen Kohl-Spendern angeht, sind sich ein paar Insider in der Union sicher, dass es diese nie gegeben hat. Kohl habe sie nur vorgeschoben, um dunklere Finanzquellen zu verbergen. Das glaubt auch Wolfgang Schäuble. Es gebe keine anonymen Spender, "weil es in der Zeit von Flick schwarze Kassen gab", sagte er dem Filmemacher Stephan Lamby. Für Schäubles These spricht vieles, aber sie ist unbewiesen. Und Kohl hat sein Ehrenwort gegeben, zu schweigen. Auf Anfrage erklärt ein Vertrauter des Altkanzlers, Kohl lege sogar Wert darauf, dass er mit Schneider nichts zu tun gehabt habe.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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