Parteiaustritt:Machtverschiebung in Washington

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Die neue demokratische Mehrheit im Senat zwingt Präsident Bush zu einem gemäßigteren Kurs

Wolfgang Koydl

(SZ vom 26. Mai 2001) - In Washington sprach man von einem politischen Erdbeben, und selten war ein eher abgedroschener Vergleich so passend wie dieses Mal.

Denn der Parteiaustritt des bisher republikanischen Senators James Jeffords aus Vermont hat Präsident George Bush buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen, ganz als ob ein mächtiger Erdstoß Kapitol und Weißes Haus erschüttert hätten.

An den Folgen dieses Bebens wird die junge Bush-Administration noch lange zu tragen haben - zumindest bis zum Herbst des nächsten Jahres, wenn ein Teil des Kongresses turnusgemäß neu gewählt wird.

Veränderte politische Landschaft

Dem Präsidenten selbst schienen die Worte zu fehlen, als er zu einer ersten Reaktion auf den Schritt seines früheren Parteifreundes aufgefordert wurde. Das ist verständlich, denn Bush hat es schlagartig mit einer veränderten politischen Landschaft zu tun.

Seit vier Monaten ist er nun im Amt, und in dieser Zeit hatte er vergleichsweise leichtes Spiel: Wichtige Gesetzesvorhaben wie sein Haushalt und seine Steuersenkungen passierten relativ problemlos beide Kammern des Parlaments - und dies, obwohl Bush geradezu vorsätzlich das Prinzip der Überparteilichkeit zu verletzen schien, das nach dem knappen Ausgang der Präsidentschaftswahl eigentlich erwartet worden war.

Kompromisse statt reaktionärem Kurs

Anstatt ein moderates Programm vorzulegen, das auch konservative Demokraten ansprechen würde, fuhr Bush einen Kurs, der vielen als reaktionär vorkam. Damit dürfte es jetzt vorbei sein.

Nun steht dem Präsidenten dieselbe Erfahrung bevor, die auch sein Vorgänger Bill Clinton machte: mit einem Senat zusammenarbeiten zu müssen, in dem die Gegenseite die Mehrheit hat.

"Das Weiße Haus wird seine Strategie radikal ändern müssen", erkannte der ehemalige republikanische Senator Warren Rudman. "Dies wird eine Stadt der Kompromisse werden, niemand wird allein eine Tagesordnung bestimmen können."

Akut gefährdet sind Bushs Energieprogramm sowie seine geplante Gesundheits- und die Erziehungsreform. Die Demokraten werden zudem ihre eigenen Projekte voranzutreiben suchen.

Senator Tom Daschle, der den Republikaner Trent Lott als Mehrheitsführer des Senats ablösen soll, kündigte bereits an, dass der Senat "als eines der ersten Dinge" die Reform der Wahlkampffinanzierung verabschieden sollte. Außerdem könnte ein demokratisch kontrollierter Senat mehr Geld für Kranke und sozial Schwache gutheißen.

Schwierige Personalentscheidungen

Am härtesten werden jedoch die Personalentscheidungen der Bush- Administration von der neuen Lage betroffen. Alle Versuche des Präsidenten, ausgewiesene Konservative zu nominieren, dürften in Zukunft scheitern.

Das gilt insbesondere bei Kandidaten für Sitze an Bundesgerichten bis hinauf zum Obersten Gerichtshof. Demokraten hatten befürchtet, dass Bush die Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus nutzen würde, um konservative Juristen zu befördern.

Das erste Opfer des neuen, demokratisch kontrollierten Senats wäre beinahe Theodore Olson geworden, den Bush als "solicitor general", den zweiten Mann des Justizministeriums, vorgeschlagen hatte. Der "solicitor general" vertritt die Exekutive als Anwalt bei Verfahren vor dem Obersten Gericht und hat deshalb viel Einfluss und Macht.

Olson war Bushs Anwalt bei den Verfahren um den umstrittenen Ausgang der Präsidentschaftswahl in Florida gewesen, und deshalb hatten ihn die Demokraten nach der Anhörung im Justizausschuss zunächst als zu parteiisch abgelehnt. Bei der Abstimmung im Plenum am Donnerstag setzte sich Olson überraschend doch noch mit 51 zu 47 Stimmen durch.

Noch ist nicht klar, ob sich die neue Situation im Senat positiv oder negativ auf das politische Tagesgeschäft auswirken wird. Robert Moffit von der konservativen "Heritage Foundation" befürchtet, dass sich Demokraten und Republikaner "ineinander verkeilen" und wichtige Themen zum Stillstand kommen.

Der demokratische Senator Joseph Lieberman, im vorigen Jahr Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, indes begrüßt die Aussicht, dass Bush künftig mehr Rücksicht auf die Demokraten nehmen müsse.

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